Acacia 01 - Macht und Verrat
zu wissen, um was es ging. Die Prinzen waren junge Männer, stattlich und kräftig. Bestimmt gab es Frauen, die um ihre Gunst buhlten. Allerdings wunderte es ihn, dass keiner der beiden Brüder dem Wortwechsel große Beachtung schenkte …
Die Frau rief etwas. Thaddeus verstand es nicht, doch plötzlich sprangen Aliver und Dariel auf und stürzten zum Eingang. Ehe der ehemalige Kanzler begriffen hatte, was vor sich ging, waren sie draußen. Er beugte sich vor und lauschte dem erregten Lärm, der sich erhob, doch erst als Dariel nach ihm rief, stand auch er auf und trat in die von Fackeln und Sternen erhellte Nacht hinaus. Die beiden Prinzen waren in eine vielgliedrige Umarmung mit einer jungen Frau verstrickt. Sie war ebenso sonnengebräunt wie sie, ebenso schlank und stark. An der Hüfte trug sie die zwei Schwerter der Punisari. Dies lenkte ihn dermaßen ab, dass ihm zunächst etwas viel Wichtigeres entging.
»Thaddeus«, sagte Aliver, »schau, es ist Mena.«
Beim Schöpfer – seit wann war er so begriffsstutzig? So langsam im Kopf? Wann hatten seine Augen die Fähigkeit verloren zu sehen, was wichtig war? Mena. Es war Mena. Sie löste sich aus der Umarmung ihrer Brüder und trat ihm entgegen. Ihre Schritte waren so energisch und die Schwerter an ihrer Seite so auffällig, dass er halb glaubte, sie wolle ihn niedermachen. Mena, die immer so klug gewesen war. Die schon als Kind eine intuitive Menschenkenntnis besessen hatte. Mena, die er verloren geglaubt hatte und mit der er sich bisweilen im Traum unterhielt, die in diesen Albträumen seine Verbrechen an ihren zierlichen Fingern abzählte... Um dieser Mena willen war er bereit, still dazustehen und alles anzunehmen, was sie über ihn bringen würde.
Falls diese junge Frau sich noch daran erinnerte, auf welche Weise Thaddeus sie verraten hatte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Mit offenen Armen kam sie auf ihn zu. Sie warf sich an seine Brust und umarmte ihn, schmiegte den Kopf unter sein Kinn. Thaddeus bekam augenblicklich feuchte Augen. Es verlangte ihm große Mühe ab, den Kopf so zu halten, dass die Tränen nicht überliefen. Sie hätte ihm die Luft abdrücken können, und er hätte sich nicht gerührt, bis er ohnmächtig zusammengebrochen wäre.
Mena löste sich von ihm, fuhr mit den Händen seinen Nacken hinauf und legte sie um seinen Kopf. Ihr Griff war erstaunlich kräftig. Sie zog seinen Kopf herunter, sodass ihm nun doch die Tränen über die Wangen rollten. »Du hast dich kein bisschen verändert«, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen fremdartigen Akzent, ein wenig von der Mundart der Vumu, die sie irgendwie in Musik verwandelte. »Nicht eine neue Falte im Gesicht. Kein Fleck und keine Sommersprosse, an die ich mich nicht erinnere.«
Thaddeus gab es auf, so zu tun, als könne er seine Gefühle beherrschen. Er ergab sich, vollständiger als bei dem Wiedersehen mit Aliver oder Dariel. Drei Kinder Leodans waren wieder vereint; alle drei – tatsächlich alle drei! – waren am Leben! Es war einfach zu viel der Freude, zu viel der Erleichterung und der Reue. Er weinte hemmungslos.
Was er später tat, war nicht so übereilt, wie es aussah. Zumindest redete er sich das ein. Eigentlich hatte er schon seit einiger Zeit gewusst, dass er alles getan hatte, um Aliver auf den ihm vorbestimmten Weg zu bringen. Diese Aufgabe war abgeschlossen. Aliver würde entweder scheitern oder triumphieren, doch er würde vor keinem dieser beiden Resultate zurückschrecken.
Bis auf einen Gegenstand hatte er alles, was er brauchte, um diesen Krieg zu gewinnen. Er benötigte das Buch, das den Zauberern helfen würde, seine Sache zum Sieg zu singen. Obgleich auch andere mit der Suche nach dem Buch betraut worden waren, gab es hier niemanden, der bessere Aussichten hatte als er selbst, es zu finden.
In den frühen Morgenstunden, noch vor Sonnenaufgang, machte sich Thaddeus Clegg auf die Suche nach dem Buch. Er marschierte nach Norden, der Armee voraus, auf Acacia und den Palast zu, in dem, wie er hoffte, das Buch vielleicht noch immer verborgen war.
58
Hanish hatte sein letzter Abschied von Corinn keine Freude bereitet. Er hatte ihr direkt ins Gesicht geblickt, als er ihr Lebwohl gesagt hatte, nicht sicher, wie sie reagieren würde, und auf einen zornigen Gefühlsausbruch gefasst. Vielleicht wünschte er sich so etwas sogar. Stattdessen hatte sie seltsam reserviert gewirkt. Sie hatte keine Einwände dagegen erhoben, dass er Haleeven und der Tunishni-Karawane
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