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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Doch es war nicht Corinn gewesen, und es war auch keine Liebesbegegnung gewesen. Die Frau musste... Mena gewesen sein. Mena mit einem Schwert in der Hand. Eine Rachegöttin: So hatte sie sich im Traum dargestellt. Sie hatte ihm ihre Waffe gezeigt. Die Klinge war mit Blut beschmiert gewesen. Es triefte von der Klinge, als sei das Metall die Quelle der roten Flüssigkeit. Der Anblick dieser Frau und der Waffe in ihren Händen hatte ihn aus dem Schlummer aufschrecken lassen. Doch warum hatte er von ihr geträumt? War nicht Aliver der Anführer des Aufstands? Weshalb erwachte er in Furcht vor jemandem, den er im Wachzustand noch immer als junges Mädchen betrachtete?
    Über Mena wusste er wenig, außer dass sie Larken mit seinem eigenen Schwert getötet, mehrere Punisari erschlagen und die Schiffsbesatzung zur Meuterei aufgestachelt hatte. Letzteres war vermutlich am leichtesten gewesen. Es war eine traurige Wahrheit des Herrscherlebens, dass alle Mein von zahllosen Besiegten abhängig waren, die die Schiffe bemannten, die Mahlzeiten zubereiteten und die Straßen bauten. Trotzdem hätte es der zierlichen Mena nicht gelingen dürfen, ihnen so vollkommen zu entschlüpfen.
    Hanish beschloss, Mena bei der Zeremonie zu opfern, falls sich die Gelegenheit bieten sollte. Es war besser, sie zu beseitigen. Vielleicht würde ihm Corinn sogar verzeihen. Vielleicht könnten sie am Ende doch noch ein gemeinsames Leben führen. Hanish rollte sich auf die Seite und fühlte die Konturen des Bodens unter ihm. Er schloss die Augen und versuchte, einzuschlafen und nicht an Corinn zu denken. Beides gelang ihm nicht.
    Als er am nächsten Tag auf einer Anhöhe saß, von der aus man die sich durch den eilavanischen Wald schlängelnde Straße sehen konnte, erblickte er die sich nähernde Karawane. Berittene bildeten die Vorhut und sicherten die Flanken. Dann folgten Punisari-Einheiten, die auf dem schmalen Weg in enger Formation marschierten. Dahinter kam eine lang gezogene Kolonne von Arbeitern und Priestern sowie von Ochsenfuhrwerken, die mit Hunderten von Sarkophagen beladen waren. In jedem Sarkophag lag einer von Hanishs Ahnen. Der Wind trug das Knallen der Peitschen heran. Es war keine Einbildung. Es war Wirklichkeit.
    Als er auf die Wagenkolonne zuritt, durch Reiterei und Fußsoldaten hindurch, konnte er sich nicht vorstellen, wie sie es geschafft hatte, die unwegsame Tundra des Mein-Plateaus zu durchqueren. Im Sommer musste es eine holprige Reise über stinkendes Sumpfland gewesen sein, das als dünne Schicht den felsigen Untergrund bedeckte, mit unzähligen Gelegenheiten für die Wagen, umzukippen oder stecken zu bleiben. Ohne die Technik der Numrek hätten sie die Unternehmung vielleicht gar nicht durchführen können. Sie hatten die Mein gelehrt, Wagen von solcher Größe zu bauen, mit diesen gewaltigen Rädern und dem federnden Fahrgestell, das unter Belastung nicht brach. Gleichwohl schauderte er bei der Vorstellung, mit diesen riesigen Karren den steilen Serpentinenabstieg vom Rand bewältigen zu müssen. Er würde Haleeven später fragen, wie sie das geschafft hatten, und ihn dazu beglückwünschen. Es war eine Leistung, über die er einen Poeten eine Ballade schreiben lassen würde.
    Als Hanishs Onkel seinen Neffen erblickte, grinste er breit. Die beiden Männer begrüßten einander, indem sie die Köpfe zusammenschlugen. Stirn prallte gegen Stirn. Haut presste sich an Haut, die Hände hatten sie um den Schädel des anderen gelegt. Das war ein alter Brauch, der nahen Verwandten und bedeutsamen Anlässen vorbehalten war. Es sollte wehtun. Doch der Schmerz war nichts im Vergleich mit dem Schock über Haleevens Erscheinung. Abgesehen von den Bettlern, die in den dunklen Gassen Alecias herumlungerten, hatte Hanish noch nie einen so ausgemergelten Mann gesehen: Haleevens Kleidung war zerlumpt und dreckverkrustet, und immer wieder schoss die Zunge hervor, um die aufgesprungenen Lippen zu befeuchten. Die Augen lagen tief in den Höhlen, und die Haut seines Gesichts hing schlaff herab, als sei das Gewebe erschöpft von den vergangenen anstrengenden Wochen. Sein Haar war vollkommen weiß. Hanish versuchte sich zu erinnern, ob es auch vorher schon weiß gewesen war, vielleicht nur ein wenig. Nein, eher nicht. Die Haare standen seinem Onkel vom Kopf ab wie im eisigen Wind erstarrte Silberfäden.
    Er löste sich von Haleeven. »Du siehst gut aus.«
    Die Lüge war heraus, noch ehe es ihm klar war. Haleeven ließ ihn mit einem Stirnrunzeln

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