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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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durch die Hauptschlagader. Im nächsten Moment lag er auf dem glatten Steinboden und sah eine gekippte Welt im Chaos. Sein Körper war so zu Boden gestürzt, dass sein pumpendes Herz das Blut hoch in die Luft schleuderte und sein Gesicht und seine Brust mit einem roten Nebel bedeckte. Blinzelnd spähte er durch den Vorhang. Der König wurde fortgebracht, von Männern umringt wie eine Bienenkönigin von ihren Arbeitern. In halb sitzender Haltung trug man ihn hinaus, und überall waren Hände, einige davon flach auf seine blutige Brust gedrückt. Als Thasren einen Moment lang freie Sicht hatte, sah er den zu einem Oval geöffneten Mund des Königs. Schmerz zuckte über die Wangen des Mannes. Seine Augen waren zwei verwirrte Fragen, von Furcht erfüllt.
    Während Thasren dies alles beobachtete, dachte er an seinen älteren Bruder und wünschte sich, dieser hätte seine Tat mit ansehen können. Hoffentlich würde ihn die Kunde, die ihm schließlich überbracht werden würde, stolz machen. Eine unersättliche Leere machte sich in seinem Körper breit, löschte immer mehr von ihm aus. Den Mund voller Blut, flüsterte er, ein Geschmack wie von flüssigem Metall. Er war von Ehrfurcht erfüllt. Wenigstens eine große Tat hatte er in seinem Leben vollbracht. Jetzt, wo sie hinter ihm lag, empfand er keine Angst. Er hatte große Furcht verbreitet, doch er selbst ging ohne Angst in den Nachtod ein, wie es sich für den Soldaten einer gerechten Sache schickte. Bevor er das Bewusstsein verlor, begann er, das Gebet der Vereinigung zu sprechen, das Loblied der Tunishni.

15

    Mena würde den achtseitigen Würfel des Kinderspiels »Rattenjagd« nie wieder ansehen können, ohne dass ihr übel wurde. Dieses Spiel hatte sie mit ihrem kleinen Bruder gespielt, als König Leodan angegriffen worden war. Dariel hatte gefürchtet, sein Vater werde sein Versprechen, nach dem Essen mit ihnen zu spielen, nicht einhalten, und die Prinzessin hatte sich bereit erklärt, sich mit ihm in der Nähe der Saaltür hinzusetzen, damit sie sich gleich auf den König stürzen könnten, wenn er herauskam. Sie würfelten aus der Hand und schauten wieder und wieder zu, wie die grünen Oktaeder aus Glas rollten und zur Ruhe kamen, in das Seidenpolster der Sitzbank geschmiegt. Mena machte sich nicht viel aus dem Spiel, und es kam ihr sinnlos vor, sich ganz allein auf den Zufall zu verlassen, doch sie mochte das Gefühl, wenn die Würfel in der hohlen Hand tanzten. Oft schüttelte sie sie so lange, dass Dariel ungeduldig wurde.
    Es geschah, nicht lange nachdem die große Flügeltür sich geschlossen hatte. Mena hatte mit halbem Ohr den gedämpften Tumult im Saal mitbekommen, doch als die Tür jäh aufgestoßen wurde, fuhr sie zusammen. Die Flügel schwangen in ganzer Breite auf und krachten gegen die Wand. Menas Hand, die soeben die Würfel hatte werfen wollen, zuckte empor, sodass sie zu Boden fielen. Einen Moment lang sah sie zu, wie einer davon über den Teppich rollte; es war ihr peinlich, und sie wollte schon aufspringen und ihn holen. Doch dann bemerkte sie die Menschentraube, die sich durch die Tür drängte. Die Männer hatten sich über eine Last gebeugt, sie schlurften und stolperten unbeholfen in dem Versuch zu rennen, alle schrien und schienen völlig verwirrt. Eine Stimme erhob sich über den Lärm und brüllte, man solle den Weg für den König freimachen, für den verletzten König! Noch ehe Mena die volle Bedeutung der Worte erfasst hatte, begriff sie, dass die Last, die die Männer trugen, ein Mensch war. Ihr Vater …
    Seine Haut hatte jegliche Farbe verloren und war so bleich wie die eines gepuderten Leichnams. Die zitternden Lippen hatte er gespitzt, die Krone war verrutscht, in seinem Blick lag nackte Angst. Weißer Speichel klebte in seinem Bart. Dort unter all diesen bizarren Entstellungen war der Mensch, den sie auf der Welt am meisten liebte, all dessen beraubt, was stark, väterlich und klug gewesen war. Rasch zog sie Dariel an sich und hielt ihm die Augen zu. Sie drückte ihn an ihre Brust und wandte sich ab, als könnte sie auf diese Weise abschütteln, was sie soeben erblickt hatte.
    Später an jenem Abend saß sie auf Dariels Bett und hielt den schluchzenden Jungen in den Armen. Immer aufs Neue wiederholte sie, alles werde gut werden. Ihr Vater werde wieder gesund werden. Ganz bestimmt. Nur ein Nadelstich, hätten die Leute gesagt. Ob er wirklich glaube, ein Nadelstich könne dem König von Acacia etwas anhaben? »Komm schon«, sagte

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