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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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erreicht. Irgendwann werdet ihr erfahren, was für Gemeinheiten die Menschen einander antun, doch bis dahin, warum nicht die Freude kennen lernen? Du möchtest doch ein Kind sein, dessen Träume sich erfüllen, nicht wahr?«
    In diesem Moment war Dariel ins Zimmer gekommen. Ihr Vater hatte ihn gerufen, und mit der Vertraulichkeit zwischen ihnen beiden war es zunächst vorbei gewesen. Als sie sich daran erinnerte, flossen die Tränen von neuem. Sie hatte seine Frage nicht beantwortet. Sie hatte ihn nicht gefragt, was für Schrecken die Welt berge. Sie hatte sie niemals gesehen und wusste nur von den Kämpfen der Vergangenheit, die in den Geschichtsbüchern mit triumphierender Wortgewalt geschildert wurden. Doch sie wünschte sich, sie hätte ihm geantwortet. Sie wünschte sich sehnlichst, ein Kind zu sein, dessen Träume sich erfüllten.
    Sie glaubte nicht, dass sie würde schlafen können, doch irgendwann schlummerte sie ein, immer noch im Baum sitzend und gegen das glatt geschmirgelte Holz gelehnt. Sie träumte etwas, das ihr wie eine Erinnerung vorkam, wenngleich sie später nicht sagen konnte, ob dieses Gefühl von einem Ereignis oder einem früheren Traum ausgelöst worden war. Zusammen mit einem Mädchen, dessen Name sie nicht kannte, kletterte sie über die Felsen an der Nordküste hinaus auf den steinernen Pier, der ins Meer hinausragte. Das Mädchen hatte einen Kescher dabei, in der kindlichen Absicht, etwas zum Abendessen zu fangen. Sie wussten, dass sie sich hier auf den schroffen Felsen nicht aufhalten durften, vor denen die Brandung die Tangwedel in wogende Bewegung versetzte, wo Krabben mit blauem Panzer umherkrochen und alles mit Muscheln besetzt war. Doch wenn sie mit dem Kescher einen lebendigen Schatz heimbrächten, würde man sie bestimmt nicht ausschelten.
    Als sie sich dem Ende des Piers näherten, bemerkte Mena eine Bewegung im Wasser. Dicht an der Oberfläche schwamm ein Schwarm Fische. Es waren so viele, dass sie weder Anfang noch Ende des Schwarms erkennen konnte. Die Fische schwammen Seite an Seite und zu mehreren übereinander; jeder war etwa zwei oder drei Fuß lang. Von den oberen Fischen schaute manchmal sogar die Schwanzflosse aus dem Wasser. Mena konnte zwischen ihnen weit in die Tiefe sehen. Sie hatte gar nicht gewusst, dass das Meer hier so tief war, doch es war bodenlos und wimmelte von Fischen.
    Die Prinzessin bat um den Kescher, nahm ihn dem Mädchen aus der Hand und beugte sich vor. Das Mädchen warnte sie flüsternd davor, die Fische zu fangen. »Die schwimmen zum Meeresgott«, sagte es. »Wenn wir sie essen würden, wären wir verflucht.« Mena war das egal. Was sollte das überhaupt für ein Meeresgott sein? Das war doch Unsinn. Sie tauchte den Kescher ins Wasser und spannte sich, um den erwarteten schweren Fang herauszuheben. Der Schwarm wimmelte weiter am Pier entlang, doch kein einziger Fisch ging in die Falle. Sie schwenkte den Arm in einem anderen Winkel, dann hob sie das tropfende Netz hoch: wieder nichts. Ganz gleich, wie sie das Netz im Wasser bewegte – von einer Seite zur anderen oder von unten ruckartig nach oben -, es gelang ihr nicht, auch nur einen einzigen Fisch zu fangen. Dabei schwammen sie so dicht an ihr vorbei, dass sie die kleinsten Bewegungen der Flossen und die Krümmung der großen Schuppen erkennen konnte. Sie sah zu, wie die Fische die Augen nach oben verdrehten und sie im Vorbeischwimmen betrübt ansahen. Etwas an diesen Augen zog sie an. Sie legte den Kescher weg und kippte vornüber ins Wasser, denn sie war sich sicher, dass es ihr auf diese Weise endlich gelingen würde, die Fische zu berühren, sie war überzeugt, dass sie das wollten. Wenn sie dem Ruf eines Meeresgottes folgten, taten sie es nicht freiwillig. Sie konnte ihnen helfen. Das schien ihr sehr wichtig zu sein, als sie durchs Wasser stieß und hinabtauchte …
    Mena erwachte jäh. Ihre Arme schnellten ruckartig zur Seite, und fast wäre sie vom Baum gestürzt. Ein paar Momente lang schien die Welt um sie herum zusammenhangslos. Sie spürte, wie der Traum verblasste, und wusste, dass es etwas Wichtigeres gab, an das sie sich erinnern sollte, doch nur indem sie vor sich hinstarrte und wartete, kamen die Ereignisse des Vorabends zurück. Sie schaute zu dem schmalen Fenster hoch oben empor und sah, dass der Himmel hell geworden war. Dünne Wolken kachelten den Himmel mit einem rosigen Schimmer. Ein neuer Tag, dachte sie. Wie viel von dem gestrigen Schaden wird jetzt behoben sein? Wie viel

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