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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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ziemlich nervös. Erneut verspürte er das brennende Verlangen, etwas zu Sire Neen zu sagen. Doch wie sollte er anfangen? Welche Worte würden das Interesse des Gildenmannes wecken? Ihm fiel nichts ein, das Sire Neen nicht schon abwehren würde, ehe er den ersten Satz vollendet hatte. Er wusste, dass noch mehr kam – noch mehr Neuigkeiten, mehr Enthüllungen, wahrscheinlich auch noch mehr Schrecken. Er wusste, dass Dariel niemand mehr war, mit dem er in Verbindung gebracht werden wollte, daher schob er sich einen Schritt von dem Prinzen weg, so weit er konnte, bevor eine der Wachen ihn anstieß.
    Er richtete den Blick auf die näher rückende Küste – wenn man sie denn Küste nennen konnte. Es gab weder Erde noch Strand noch sonst irgendwelches natürliche Gelände. Stattdessen bestand die Küste aus einem Durcheinander von Bauwerken, die zusammen eine mehrere Stockwerke hohe, durchgehende Barriere bildeten. Sie waren schmucklos, blass hellbraun, vom Meer und vom Wetter gezeichnet, mit wenigen Fenstern oder irgendetwas anderem, was darauf hingedeutet hätte, dass die Bewohner herausschauen konnten. Sie erinnerten an die schlichte Rückseite von Gebäuden, wie Lagerhäuser, von einer wenig belebten Gasse aus gesehen.
    »Seht Euch diese Mauern an«, sagte Sire Neen. »Unsere Spione haben uns davon erzählt, aber es war nicht leicht, ihnen zu glauben. Einerseits haben sie davon gesprochen, dass die Auldek eine militärische Macht sind, die sonst niemanden mehr fürchtet – weder in den Anderen Landen noch unter den Lothan Aklun –, aber sie haben auch geschworen, dass sie gewaltige Wälle bauen, um sich vor dem Meer zu verstecken. Ich glaube, jetzt kann ich das besser verstehen, nachdem ich das Geheul der Numrek gehört habe.«
    »Sie würden auch jetzt heulen«, fügte ein anderer Gildenmann hinzu, »wenn sie nicht so selig wären, Ushen Brae wiederzusehen.«
    »Es ist möglich, dass die Auldek den Ozean fürchten, so sehr, dass sie glauben, sie müssten sich hinter einer Mauer verstecken, um vor ihm in Sicherheit zu sein. Ist das nicht eigenartig?« Sire Neen wartete einen Augenblick und drehte sich dann zu Dariel um. »Nun gut, Prinz, schweigt weiter. Aber haltet trotzdem die Augen offen. Es wird viel zu sehen geben. Aber was ist mit Euch, Rialus? Ihr habt den ganzen Tag kaum ein Wort gesagt.«
    Rialus war überrascht, dass Neen es bemerkt hatte. Nein, er hatte seit einiger Zeit nichts mehr gesagt. Fast hatte er das Gefühl, sein Mund wäre ebenso geknebelt wie der des Prinzen, vollgestopft mit ehrfurchtsvollen Fragen, die seine Wangen blähten wie ein Mund voller Steine. Genau genommen war es die Tatsache, dass er so viele Fragen hatte, die ihn stumm bleiben ließ. Die Dinge, die seine Augen erblickten, die scherzhaft zwischen Sire Neen und den anderen gewechselten Worte, die lange Reihe von Dingen, von denen er geglaubt hatte, dass sie jetzt und für alle Zeiten so sein würden, und von denen man ihm nun sagte, dass es sie nicht mehr gab – all das machte ihn sprachlos.
    Sire Neen Neen winkte ihm beinahe kokett mit dem Finger. »Sagt doch etwas. Sprecht. Sprecht.«
    »Ich – ich …«, stammelte Rialus. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Das überrascht mich nicht. Für einen mittelmäßigen Geist gibt es nichts Schwierigeres, als zu begreifen, dass die Welt stets anfällig für große Veränderungen ist. Leute wie Ihr – und der Prinz hier – glauben, dass die Welt ist. Einfach nur ist. Manche Dinge sind. Ihr glaubt, es gibt eine Ordnung, ein Muster mancher Dinge, von dem Ihr Euch nicht vorstellen könnt, dass es sich ändern könnte. Ihr seht immer nur Teile von dem, wie die Dinge sind. Ihr seid wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld. Ihr seht das, was vor Euch ist. Ihr entscheidet Euch für rechts oder links und versucht verzweifelt, am Leben zu bleiben. So seid Ihr doch, oder? Ihr werdet andauernd überrascht sein, wenn Euch klar wird, dass Ihr keinerlei Kontrolle über Euer Schicksal habt. Doch die Gilde steht auf einem hohen Grat. Wir blicken hinab und sehen die Dinge in ihrer Gänze. Mit einem solchen Blick ist es viel leichter, die Welt zu steuern. Und sie neu zu formen. Das bringt Risiken mit sich, ja. Gewiss auch Überraschungen, aber – seht, wir haben unser Ziel erreicht!«
    Die Gebäude, die die Küstenlinie bildeten, waren kaum noch einen Steinwurf entfernt, und der Abstand verringerte sich weiter. Einen Moment lang musterte der Gildenmann den Kai und die Höhe der nackten

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