Acacia 02 - Die fernen Lande
etwas von dem Wohlstand, den die Kaufleute von Alyth oder Bocoum genossen.
Zur Tarnung in Tagelöhnerlumpen gekleidet, schaufelten die drei Männer eine Wagenladung Rüben in ein gewaltiges Lager, das von acacischen Soldaten bewacht wurde, auf den Berg von Gemüse, der bereits hier gesammelt war. Als sie wieder davonrumpelten, hockten sie auf der Ladefläche, und Barad erklärte, dass diese Lagerhäuser für das Reich gedacht seien. So war es immer gewesen, so sollte es nach den Wünschen der Königin auch weitergehen. Sie schritten zwischen in Reihen angepflanztem Kohl und Salat, Zuckerherz und Roter Beete dahin. Sie sahen Kinder, die so dünn wie Straßenkinder waren, begegneten jungen Männern mit kräftigen Schultern, älteren Männern, die von der Bürde ihrer Arbeit langsam geworden waren, und sogar noch älteren, die von ihrer lebenslangen Last gebeugt waren. Als sie am Rand eines Feldes vorbeikamen, schaute ein kleines Mädchen aus einem schlammigen Graben zu ihnen auf. Was sie da machte, war nicht genau zu erkennen – nur, dass sie nicht spielte. Sie hatte einen Eimer in der einen und ein hakenförmiges Werkzeug in der anderen Hand, war völlig mit Schmutz verschmiert und bis über die Knöchel im Schlamm eingesunken. Barad erwog, haltzumachen und sie zu fragen, doch er änderte seine Absicht, als sie ihn aus großen, liebreizenden braunen Augen ansah, die von einer Kaskade ungebändigter Locken eingerahmt wurden. Sie war eine kleine Schönheit, und er glaubte, dass ihre Botschaft am besten ankäme, wenn sie sie nur durch ihre Augen übermittelte. Wie würden die Jahre mit ihr umgehen? Ihre Augen stellten diese stumme Frage, er brauchte nicht laut zu sprechen. Er ließ die Gruppe weiterreiten.
Für Landarbeiter war das alles nicht ungewöhnlich, aber diese Welt bekamen die meisten Menschen von königlichem Geblüt niemals zu sehen. Sowohl Grae als auch sein jüngerer Bruder nahmen die Szenen mit ihren blauen Augen in sich auf. Ganet war beinahe ein Zwilling seines Bruders. Vielleicht war er ein bisschen schlanker, was sie jedoch eigentlich voneinander unterschied, war die Ehrerbietung, die er seinem älteren Bruder entgegenbrachte. Ganz offensichtlich hatte die Zeit, die die beiden abgeschieden im hohen Norden ihrer Heimat verbracht hatten – während ihr älterer Bruder und ihr Vater in der Schlacht gefallen waren –, sie einander sehr nahe gebracht. Wie Grae beim letzten Treffen der Gleichgesinnten gesagt hatte, schien sein Bruder seine Sicht der Welt zu teilen.
Die ganze Zeit über betrachtete Barad den jungen König eingehend, versuchte, die Gedanken hinter seinen Worten zu sehen, hinter dem ansprechenden Gesicht. Das hatte er in den letzten paar Wochen ziemlich oft getan – als er den Aushenier in Kidnaban tief hinunter in eine verlassene Mine geführt und ihn gebeten hatte, sich vorzustellen, wie viel Mühe erforderlich war, um solch eine gewaltige Wunde zu graben, als sie das Ödland entlang des Tabithwegs mit seinen Schweinemasthöfen umgangen hatten, ja, sogar als sie die Elendsviertel von Alecia besucht hatten. Als der König das erste Mal davon gehört hatte, hatte er gefragt: »Es gibt Elendsviertel in Alecia?«
»Ja«, hatte Barad gesagt. »Von den Palästen und den Regierungsgebäuden aus kann man sie nicht sehen, aber sie sind da, außerhalb der Mauern, die die meisten für Stadtmauern halten würden. Manche von diesen Mauern sind keine Trennwände zwischen innen und außen. Manche sind einfach nur Barrieren zwischen den Reichen und den Armen der Stadt. Ihr werdet die Alecier niemals darüber sprechen hören. Es ist, als hätten sie eine brandige Hand, aber sie verbergen sie gut parfümiert in einem schmucken Handschuh. Ihr werdet sehen.« Und der König hatte gesehen. Dafür hatte Barad gesorgt.
Der alte Minensklave wusste, dass man sich niemals ganz sicher sein konnte, wenn man sich ein Urteil über einen anderen Menschen bildete, doch am Ende der Wochen, die sie zusammen gereist waren, glaubte er, dass Grae ein reines Herz hatte. Der König war nicht ein einziges Mal zurückgeschreckt, nachdem er gesehen hatte, was Barad ihm hatte zeigen wollen. Er hatte nicht versucht, das Reich in Schutz zu nehmen, und er hatte sogar mit mehreren Bauern gesprochen, als seien sie tatsächlich Menschen – etwas, das Corinn in all den Jahren ihrer Herrschaft niemals getan hatte. Möglicherweise war echter Adel in seinem Blut, etwas, das tiefer ging und absichtsvoller war, als der ungestüme
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