Acacia 02 - Die fernen Lande
lassen, sie könnten uns kaufen und herumkommandieren. Was spielt es für eine Rolle, was sie glauben?« Calrach legte den Kopf ein wenig schräg und stieß einen tiefen Atemzug aus. »Wir haben jahrelang falsch gelebt. Jetzt wollen wir wieder richtig leben.«
»Was habt ihr denn Schreckliches getan, dass ihr von hier vertrieben worden seid?«
Calrach warf ihm einen gefährlichen Blick zu. »Ich hole jetzt den Folterknecht.«
Er machte Anstalten, sich zu erheben, aber Rialus stieß hastig hervor: »Nein, nein, tu das nicht! Ahh …« Er hatte zu heftig gesprochen. Der Schmerz hallte ein paar Sekunden in ihm nach, die er mit geschlossenen Augen verbrachte. Als er sie wieder öffnete, saß Calrach auf seinem Schemel und beobachtete ihn. »Geh nicht weg«, sagte er. »Du bist gekommen, um mir etwas zu erzählen. Bitte tu das.«
»Schön«, sagte Calrach nach kurzem Zögern. »Hör gut zu. Ich werde dir all dies nicht zweimal erzählen. In Ushen Brae ist weder bei den Auldek noch bei Numrek oder bei irgendeinem anderen Clan in Hunderten von Jahren ein Kind zur Welt gekommen, – bei keinem von uns. Es hat keine einzige Geburt gegeben. Keine Kinder. Hörst du? Genauso ist es. Ich bin nicht so jung, wie ich aussehe. Ich erinnere mich nicht mehr an mein Geburtsjahr, aber glaube mir, ich habe lange gelebt. Lange.«
»Aber ihr habt doch Kinder. Ich habe sie gesehen …«
»Nicht so schnell! Also, ich mache es einfach für dich. Die Lothan Aklun sind in ihren Booten hier angekommen. Sie haben schwach ausgesehen, und sie wollten Anspruch auf unsere Barriere-Inseln erheben. Sie waren keine Krieger, aber sie hatten mächtige Magie, und damit haben sie uns gefangen. Sie haben uns Tricks gezeigt, haben am Himmel Flammen auflodern und die Erde beben lassen. Sie haben sogar getötet – mit nichts weiter als ein paar geflüsterten Worten. Sie haben gesagt, sie würden mit einem großen Geschenk für die Inseln bezahlen. Sie würden uns ewiges Leben geben. Hörst du mich, Rialus? Sie haben versprochen, uns unsterblich zu machen. Und das haben sie auch getan.«
»Aber ihr seid nicht unsterblich«, sagte Rialus. »Ich habe Numrek in der Schlacht fallen sehen. Ihr fürchtet den Tod wie jeder Mann.«
»Vielleicht mehr als jeder Mann. Unterbrich mich nicht, wenn ich dir etwas erzähle. Sie schaffen Unsterblichkeit, indem sie Seelen aus einem Körper nehmen und sie in einen anderen verpflanzen. Wir können zwei, drei … zehn Leben in uns haben. Das konnten sie mit ihrer Magie tun.«
Urplötzlich tauchte in Rialus’ Kopf das Bild von dem Anführer der Auldek auf – wie er sich mit dem Pfeil in der Brust gewunden und wie er gezittert hatte, als wäre er besessen. »Devoth …«
»Ja. Du hast das gesehen, ja? Du hast gedacht, der Pfeil hätte Devoth getötet. Ein guter Schuss, das stimmt, aber nur eine seiner Seelen ist daran gestorben. Deswegen ist er wieder aufgestanden und …« Calrach mimte mit der flachen Hand ein Schwert, das ihm den Hals durchtrennte. »Nein, er hat viele Seelen in sich. Ich auch. Man könnte es Zauberei nennen. Zauberei der Lothan Aklun. Sie hat uns all die Jahre am Leben erhalten, aber sie hatte einen Preis. Als sie uns unsterblich gemacht haben, haben sie uns gleichzeitig unsere Fruchtbarkeit genommen. Wir konnten für immer leben, aber wir haben festgestellt, dass wir keine Kinder mehr bekommen können. Was für ein schlauer Trick – man gibt eine Art von Unsterblichkeit und nimmt gleichzeitig eine andere. Das haben sie auch mit den Sklaven gemacht. Sie wachsen niemals so weit heran, dass sie eigene Kinder gebären könnten. Nie. Dies ist ein Land ohne Kinder. All diese Jahre waren wir kinderlos, abgesehen von den Seelen in uns und der Quote.
Als die Lothan Aklun angefangen haben, mit der Gilde Handel zu treiben, sind so viele Seelen aus euren Landen zu uns gekommen, wie wir es nur wünschen konnten. Aber wir wollten mehr. Ja, denn wir haben sie gebraucht, damit sie für uns arbeiten und all unsere Bedürfnisse befriedigen. Aber nicht nur das. Sie sind auch unsere Kinder geworden. Sie sind Sklaven, aber auch Kinder. Und da von uns niemand mehr Kinder gebären konnte, haben wir immer mehr gebraucht. Verstehst du?«
Obwohl er eine Frage gestellt hatte, wartete er nicht auf die Antwort. »Ich werde es schnell erzählen. Hör zu. Die Auldek haben viele Gesetze. Zu viele. Die Numrek haben eins davon gebrochen. Wir wurden bestraft. Sie haben uns unsere Seelen genommen, unsere Totems verbrannt, uns
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