Acacia 02 - Die fernen Lande
waren, hatte es sich irgendwie richtig angefühlt – als solle es so sein, als hätte sie es sich selbst gewünscht und es geschehen lassen. Mena war auch erstaunt gewesen, dass die Kreatur noch am Leben war, nachdem sie sich so sicher gewesen war, dass sie tot war. Mehr als alles andere jedoch hatte sie ein fieberhaftes Drängen gespürt, einen Schwall von Möglichkeiten, die keine besondere Gestalt hatten, ihr aber so wichtig schienen wie alles andere in ihrem Leben.
Sie war ein paar Schritte zurückgetreten, hatte sich auf einen Stein gesetzt und die Kreatur angestarrt, die sie ihrerseits unverwandt angesehen hatte. Und so hatten sie beinahe eine Stunde verharrt. Die Kreatur hatte smaragdgrüne Augen, deren Iris metallisch funkelte und die ganze Augenhöhle ausfüllte. In diesen Augen war keinerlei Furcht zu sehen. Aber auch keine Spur von Angriffslust oder Hunger. Dass hinter diesen Augen Intelligenz lag, war offensichtlich, aber sie sahen sie nur an. Mena spürte, dass sie erforscht wurde, so wie sie selbst erforschte, und sie stellte fest, dass sie hoffte, der Kreatur würde gefallen, was sie sah.
Allerdings konnten sie nicht bis in alle Ewigkeit in dieser Pattsituation verharren. Als Mena sah, wie die Kreatur kurz mit ihrer schmalen Zunge die Luft prüfte, hatte sie eine Idee. Sie stand langsam auf und gab der Kreatur mit ihrem unversehrten Arm ein Zeichen, dass alles in Ordnung war. Dass sie ruhig bleiben sollte. Sie flüsterte: »Bleib liegen. Ich bin gleich zurück. Bleib einfach liegen.« Sie wusste, dass sie sich töricht vorkommen sollte, weil sie mit einem Tier sprach, aber sie tat es nicht. Während sie den Hang wieder hinaufhumpelte, den sie vor einiger Zeit heruntergeklettert war, wünschte sie sich, sie hätte mehr gesagt. Falls der Echsenvogel nicht mehr da sein würde, wenn sie zurückkehrte, würde sie sich dafür verfluchen, nicht mehr gesagt zu haben, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was dieses Mehr hätte sein sollen.
Es schien ewig zu dauern, auf der anderen Seite in die Schlucht hinunterzuklettern und wieder an den Bach zu kommen. Sie war schweißgebadet und musste sich schwer atmend hinsetzen, um die Erschöpfung zu überwinden und den Schmerz zurückzudrängen, der durch ihren Körper pulsierte. Sie öffnete ihr Bündel und wühlte darin herum, suchte nach etwas, worin sich Wasser transportieren ließ und das eigentlich für eine andere armselige Gewohnheit gedacht war. Glücklicherweise fand sie die Lederschale, die sie benutzte, um Heiltees zuzubereiten. Sie schöpfte klares Wasser aus dem Fluss und trank, dann schöpfte sie mehr. Aufzustehen, ohne ihren verletzten Arm benutzen zu können, war schon schwierig genug, die weiche Schale aufzuheben war jedoch etwas ganz anderes. Sie brauchte mehrere Anläufe, bis sie sie schließlich – noch einigermaßen voll – auf der flachen Hand balancierte.
Als sie wieder über den Grat spähte, lag die Kreatur noch in derselben zerschmetterten Stellung da, wie sie sie verlassen hatte; allerdings war der lange Hals gebeugt, denn sie untersuchte ihre Flügel und den Oberkörper. Bis Mena bei ihr ankam, hatte sie einen guten Teil des Wassers verschüttet, doch sie bot ihr an, was noch da war. Sie stellte die Schale ab, so gut es ging und verschüttete dabei noch mehr, dann trat sie zurück. Die Kreatur ließ Mena nicht aus den Augen, bis diese eine ganze Weile ein paar Schritte entfernt reglos verharrt hatte. Erst dann untersuchte sie die Schüssel, blickte wieder auf und sah Mena mit zur Seite geneigtem Kopf an. Schließlich tauchte sie die Spitze ihrer Schnauze ins Wasser und trank.
Und dann begann das Spiel des Anstarrens von Neuem. Sie verbrachten den größten Teil des Nachmittags damit. Wieder hätte Mena gern etwas gesagt, doch sie konnte die rechten Worte nicht finden, und außerdem schien die Kreatur mehr und mehr mit ihrer Anwesenheit zufrieden zu sein. Das genügte.
In dieser Nacht schlief Mena auf dem Abhang, ein kleines Stück entfernt, und als sie erwachte, stellte sie fest, dass die Kreatur sich putzte, wenn man es denn putzen nennen konnte. Sie sah fast so aus wie eine Katze, die sich wusch, nur dass sie nicht die Zunge benutzte. Stattdessen rieb sie mit der flachen Unterseite ihrer Schnauze über jede Stelle, die sie hätte lecken können. Ihre Bewegungen waren präzise und vorsichtig, vor allem, als sie sich den zerfetzten Membranen ihrer Flügel zuwandte. Sie auch nur anzusehen, ließ eine Woge des Bedauerns in Mena
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