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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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ich anfange – sag mir, ist es wahr? Halten wir einen Akaran-Prinzen gefangen?«
    Mór nickte.
    »Könnte er der Rhuin Fá sein?«
    »Er könnte alles Mögliche sein«, antwortete sie und fühlte sich plötzlich nicht nur unbehaglich, sondern auch gereizt. Es war unangemessen, dass er Zeit damit vergeudete, seine eigene Neugier zu stillen. »Es ist nicht an mir zu sagen, ob er es ist oder nicht.«
    Der Bote schürzte die Lippen. »Und nach deinem Tonfall zu urteilen, steht es mir nicht zu, danach zu fragen«, sagte er. »Vergib mir. Doch wir in den Westlanden dürsten nach Hoffnung. Wir haben Gerüchte gehört, aber wir hören schon seit Hunderten von Jahren Gerüchte. Bisher ist noch nie etwas daraus geworden.«
    »Ich hätte nicht angenommen, dass du so alt bist.«
    Der Mann lächelte erneut. »Du möchtest anfangen. Ich verstehe. Wollen wir?«
    Trotz ihrer Ungeduld ließ Mór den Blick über die überwucherten Mauern schweifen, ehe sie antwortete. Sie sah zu Tunnel hinüber, der mit verschränkten Armen in dem Torbogen lehnte, durch den sie das Gelände wieder verlassen würden. Er antwortete mit einem Heben seines Kinns. Wie alles an ihm war die Geste schroff, doch sie war auch beruhigend.
    »Ja«, sagte sie, »fang an.«
    Der Bote räusperte sich. Sein Blick huschte zu Mór hinüber, noch einen Augenblick lang erheitert, dann wurden seine Arme in seinem Schoß schlaff, und er schien sein ganzes Bewusstsein auf seinen Atem zu konzentrieren. Mit geschlossenen Augen atmete er ein und wieder aus. Dann und wann stöhnte er leise. Eine Weile fiel sein Kopf nach vorne, als schliefe er. Und dann schien es, als wäre er tatsächlich eingeschlafen, sein Stöhnen nichts weiter als ein leises Schnarchen. So war es immer. Mór wartete, beobachtete ihn, wie immer neugierig auf das, was gleich geschehen würde.
    Und dann erstarb das Stöhnen. Der Mann hörte auf zu atmen. Ein paar unbehaglich lange Momente schien es, als sei der schlafende Mann gestorben. Und dann schaute er auf. Er rang nach Luft und öffnete blinzelnd die Augen. Diese jetzt blauen Augen – das Weiß mit einem roten Netzwerk des Alters geädert, gelblich verfärbt und müde – waren nicht mehr die Augen des Boten. Und auch seine Stimme war nicht mehr dieselbe.
    »Liebes«, sagte sein Mund. Die Stimme, die herauskam, passte nicht zur Form oder Bewegung der Lippen. Eine trockene Stimme, langsam und geduldig, voller Melancholie und Liebe – es war eine Stimme, die sie aus jener Zeit gut kannte, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war, die sie aber schon seit etlichen Jahren nicht mehr von dem Mann gehört hatte, dem sie wirklich gehörte. »Du bist nicht mein kleines Mädchen, oder?«
    Ihr erster Impuls war zu widersprechen. Doch! Doch, sie war sein kleines Mädchen. Natürlich war sie sein kleines Mädchen. Das war alles, was sie jemals sein würde. Es war grausam von ihm, etwas anderes zu sagen. Aber genau das hatte sie schon bei anderen Gelegenheiten vorgebracht, und es hatte nichts genützt. Deshalb schluckte sie und sagte: »Nein, aber ich bin diejenige, die jenes kleine Mädchen war. Jetzt bin ich die Frau, die sich an das Mädchen erinnert – und die sich an dich erinnert. Hallo, Yoen.«
    Der Bote lächelte. Seine Augen schlossen sich einen Moment. Öffneten sich wieder. Yoens Stimme sagte: »Hallo, Liebes. Ich wünschte, meine Augen könnten dich wirklich sehen, wenigstens noch einmal, bevor ich fliege. Das würde meinem Herzen guttun.«
    »Lass es so sein. Lass uns machen, dass es so sein wird.« Aus Mórs linkem Auge quoll eine Träne und rann ihre Wange hinunter. Sie hatte nicht gewusst, dass diese Gefahr bestand. Verlegen wischte sie sie weg, während Erinnerungen sie überfluteten, denen sie nur selten gestattete, an die Oberfläche zu kommen. Yoen, der mehr ein Vater für sie gewesen war als sonst jemand – mehr noch, er war Vater und Mutter zugleich gewesen, und Balsam für den Verlust eines Bruders. Das Leben war grausam und immer wieder grausam, denn es hatte ihr als Kind alles weggenommen und sie dann dazu gebracht, unter der Obhut dieses Mannes alles wieder von Neuem zu lernen. Und dann, später, hatte es von ihr verlangt, ganz auf sich allein gestellt zu sein, als er floh, um sich den Ältesten in den Westlanden anzuschließen, auf der Himmelsinsel. Es war zu viel, um es ertragen zu können.
    Es war so, sie wusste, dass die Augen, die sie ansahen, nicht Yoens Augen waren, auch wenn es den Anschein hatte. Sie waren die Augen

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