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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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»Wirklich?«
    »Meine Lehrer werden durch mich sprechen, ja.«
    »Und jetzt wirst du unsere Fragen beantworten?«, fragte Benabe. Die Euphorie des Flammentrinkens machte ihre Gesichtszüge weicher, aber ihre Stimme klang immer noch hart. »Jetzt, nachdem wir drei Tage lang mit dir durch die Wüste gewandert sind – jetzt können wir dir Fragen stellen?«
    »Mutter«, mahnte Shen.
    »Vielleicht sollte ich mit dem anfangen, was ihr ihrer Ansicht nach wissen solltet«, sagte Leeka. »Ihr solltet wissen, dass die Santoth euch beschützen. Das haben sie schon seit einiger Zeit getan. Sie spüren eure Furcht, und sie verstehen sie, aber ihr seid hier sicher. Wenn ihr von hier weggeht, werdet ihr unbeschadet den Weg zurück in die Welt der Menschen finden. Das versprechen sie euch.«
    »Was wollen sie von meiner Tochter?«
    »Sie wollen, dass sie in Sicherheit ist.«
    »In Sicherheit wovor?«
    Leeka schwieg einen Moment, sein Blick war auf etwas anderes gerichtet. Schließlich sagte er: »Sie wollen, dass ich es euch erkläre. Shen weiß diese Dinge. Wir beide haben uns darüber unterhalten. Es wird Zeit, dass du sie auch erfährst, Mutter von Shen. Du musst verstehen – ohne daran zu zweifeln –, dass die Santoth ihr ganzes Leben lang mit dem Mädchen in Verbindung gestanden haben. Wir wissen, dass du das weißt, und doch spüren wir den Zweifel in dir. Zweifle nicht.«
    Benabe saß still da, mit ihrer Tochter an ihrer Seite. Ihr Gesicht sah aus, als sei sie verletzt, als hätte der Mann an eine alte Wunde gerührt. Shen musste es gesehen haben, denn sie nahm Benabes Hand und rieb sie.
    »Viele Generationen lang – in der Welt der Lebenden – haben die Santoth keine Hoffnung gekannt. Sie haben unter ihrer Verbannung gelitten, unsterblich wie sie sind. Sie haben viel von dem gewusst, was auf der Welt geschah, und doch waren sie nicht Teil davon. Sie haben sich an so vieles erinnert, und dennoch ist ihnen das Verständnis der Sprache des Schöpfers mehr und mehr entglitten. Sie wurde ausgewaschen, wurde befleckt. Selbst für sie wurde sie etwas Grauenvolles. Ihr könnt nicht verstehen, wie sehr sie gelitten haben.«
    »Verstehst du es?«, wollte Naamen wissen.
    »Sie haben mich an ihrer Erfahrung teilhaben lassen«, antwortete Leeka. »Für mich ist das ein Geschenk, aber ich würde nicht wollen, dass ihr dieses Wissen teilt. Aber dann ist Aliver zu ihnen gekommen. Genau wie ihr, nur kam er ungebeten. Er hat wieder Hoffnung in ihnen erweckt. Hat sie daran erinnert, dass ihre Verbannung aufgehoben werden könnte. Er hätte es tun können, da er der Erstgeborne einer Generation aus Tinhadins Geschlecht war. Natürlich hatte es andere gegeben, viele andere. Aber keiner von ihnen hatte die Santoth gesucht. Keiner von ihnen ist so kurz davor gewesen, sie zu befreien, damit sie wieder Gutes auf der Welt tun können. Aliver hat gesagt, dass er das tun würde. Deshalb hat sein Tod den Santoth Qualen bereitet. Sie sind aufgebrochen, um ihn zu suchen und haben ihn gefunden; und in ihrer Enttäuschung haben sie ihrem Zorn freien Lauf gelassen.« Hier sah er Kelis an. »Aber du weißt das. Du warst dabei.«
    Kelis senkte den Blick, rieb sich die Knöchel einer Hand mit den Fingern der anderen. Er wollte nicht, dass die anderen das Entsetzen jenes Tages auf seinem Gesicht sahen, doch er war sich sicher, dass es da war, dass alle es sehen konnten. Warum, würden sie vielleicht fragen, hatte er sie hierhergebracht, zu denjenigen, die Abscheulichkeiten auf die Welt losgelassen hatten? Er würde darauf keine Antwort geben können.
    »Meine Lehrer haben befürchtet, dass ihr Exil lange, lange Zeit andauern würde. Das haben sie befürchtet, aber als sie gelauscht und gewartet haben, wurde ihnen klar, dass Aliver nicht ganz fort war. Er hat in derjenigen weitergelebt, die wir Shen nennen. Das Band, das die Santoth mit Aliver geknüpft hatten, ist mit ihr weitergeführt worden. Deshalb haben sie ihr ganzes Leben lang mit ihr sprechen können – sogar, als sie noch im Mutterleib war.«
    Benabe sah Shen dieses Mal nicht an, doch das Mädchen rieb erneut tröstend die Hand ihrer Mutter. In dieser Bewegung lag eine Entschuldigung, doch ihr junges Gesicht war begierig, wartete auf Leekas Worte.
    »Du hast gefragt, was die Santoth von Shen wollen«, sagte Leeka. »Sie wollen nur, was sie geben will, nur das, was ihr Vater zu geben versucht hat. Nur sie kann sie in die Welt zurückrufen. Nicht die Königin. Nicht das Kind der Königin.

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