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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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bereits getroffen.«
    »Mutter?«, fragte Shen sanft. Genau wie Naamen hatte sie ihre Aufmerksamkeit von dem Kreis aus Menschen auf die Steine gerichtet, die sie umgaben. Sie legte den Kopf ein wenig schräg, lauschte auf etwas, das über den Streit um ihr Schicksal hinausging.
    Benabe beachtete sie nicht. »Dann werde ich mit ihr hierbleiben«, sagte sie.
    Vielleicht wurde Leekas Blick ein bisschen weicher, als er ihr antwortete – vielleicht; Kelis war sich nicht sicher. »Das ist nicht möglich.«
    »Es muss möglich sein. Ich werde sie euch nicht übergeben, ganz egal, was sie sagt.«
    »Mutter«, sagte Shen.
    »Wenn ihr helfen wollt«, sagte Leeka und blickte auf, schloss auch Kelis in seinen Blick mit ein, »überbringt Königin Corinn die Botschaft der Santoth. Lasst sie wissen, dass die Santoth das Buch haben müssen. Und sie werden es bekommen, ob sie in den Vorschlag einwilligt oder nicht.«
    Shen stand auf. »Mutter, die Steine sind gekommen. Sie sprechen. Sie wollen …«
    Sie kam nicht weiter. Ihr Kopf ruckte nach hinten. Ihre Zähne knirschten und ihre Arme schnellten zur Seite und in die Höhe. Sie sah aus, als wäre sie von etwas, das sie vom Boden hochheben wollte, in die Brust gestochen worden. Benabe sprang auf und streckte die Arme aus, um ihre Tochter aufzufangen, doch plötzlich bewegte sich der Stein hinter ihr. Er verwandelte sich in eine Sandwolke, eine wabernde Säule, in deren Zentrum sich so etwas wie eine menschliche Gestalt befand. Die Säule raste an Benabe vorbei, wogte um Shens zitternden Körper herum und fing sie auf, als sie sich anschickte, nach hinten zu fallen. Benabe schrie auf. Die anderen Steine brandeten an die Gruppe heran, wirbelten gemeinsam um sie herum und tosten wie ein wütender Wind.
    »Sie wollen nichts Böses«, rief Leeka über den Lärm hinweg. »Sie werden sie vor allem Leid beschützen, bis die Zeit gekommen ist.«
    Benabes Stimme war noch lauter. »Haltet sie fest!«
    Kelis versuchte es, aber sobald er einen Schritt auf das Mädchen zumachte, verlor er sie aus den Augen. Der wirbelnde Sand bedrängte ihn. Er konnte sich kaum bewegen, wie sehr er auch versuchte, um sich zu treten, sich gegen den Sand zu stemmen oder sich hindurchzuwinden. Ein paar Mal erblickte er Shen – ihr Gesicht, ihre Beine, ihre schwebende Gestalt – für kurze Augenblicke, jedoch nie zweimal an der gleichen Stelle.
    »Und wenn die Zeit gekommen ist, wird sie sie freilassen«, sagte Leeka. »Sie wird sie in die Welt zurückführen. Wenn das kommt, was wir fürchten …«
    Es hörte so schnell auf, wie es angefangen hatte. Der Druck, der Kelis festhielt, verschwand. Er stürzte zu Boden, prallte gegen Naamen, der ebenfalls hingefallen war. Schweigen. Stille. Das Feuer war aus. Kelis blinzelte rasch. Bald konnte er die Umrisse der Menschen um sich herum im Licht der Sterne und des tief stehenden Mondes ausmachen. Er erhob sich, zählte die Umrisse, ließ den Blick über die leere Ebene ringsum schweifen. Er sah Benabe und Naamen, aber sonst niemanden.
    »Sie sind fort«, sagte Naamen.
    Als Antwort stieß Benabe einen uralt klingenden Klagelaut aus, lange zurückgehalten, endlos. Man hatte ihr ihre Tochter geraubt.

41

    In seinen Gemächern mehrere Stockwerke über dem Erdboden hockte Rialus auf dem Sims eines nach Westen führenden Fensters, von wo aus sich ihm ein Blick über die anscheinend endlose Stadt Avina bot. Wie ein Labyrinth breiteten sich Gebäude in alle Richtungen aus. Viele waren in funkelnden karmesinroten oder orangenen Farbtönen bemalt. An mehr als einem Turm wehten Flaggen, die von der Clanzugehörigkeit kündeten. Hier und dort ragten Bäume zwischen den Bauwerken auf, große, schlanke Stämme mit runden Blätterbüscheln am obersten Ende. Über ihm flogen Taubenschwärme hierhin und dorthin. Spatzen schossen durch die Luft. In noch größerer Höhe hingen kleine schwarze Punkte in der Luft – Wächter. Gelegentlich waren Möwen auf einem Patrouillenflug zu sehen, und jede ihrer Bewegungen und ihre krächzenden Schreie hatten etwas Herablassendes, als betrachteten sie die Stadt als ihr Eigentum.
    Hundert verschiedene Rauchsäulen stiegen als dunkle Wolken in die Luft, vermengt mit fünfhundert Schwaden aus hellerem Grau. Sogar noch mehr kleine weiße Wölkchen wurden von Kaminen und Rohren ausgestoßen. Die Rauchsäulen waren weniger ein Anzeichen für die Verschmutzung der Luft – wie es oft in großen acacischen Städten wie Alecia der Fall zu sein

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