Acacia 02 - Die fernen Lande
irritiert, bis ihm klar geworden war, dass es das einzige war, das sie jemals willentlich machte. Nie sprach sie ein Wort, wenn es nicht erforderlich war, eine stumme Dienerin, die ihre Anwesenheit nur durch das Geräusch ihrer Füße verkündete. Sie war hübsch anzuschauen. Anfangs hatte er sie trotz der drahtigen Schnurrhaare in den Wangen und der tätowierten Bänder unter den dünnen Augenbrauen schön gefunden, aber es dauerte nicht lange, bis er zu ahnen begann, dass dies ihre Schönheit nur noch steigerte, so merkwürdig ihm das auch vorkam. Sie sah aus wie eine geborene Mein, hatte die blasse Haut und die strohblonden Haare dieses Volkes. Mit ihrem schmalen, fein geschnittenen Gesicht, der leichten Stupsnase und einem schlanken Körper, dessen Konturen unter dem schlichten Hemd seine Blicke dennoch immer wieder anzogen, war sie ganz anders als seine üppige Gurta, doch das machte es leichter, sie zu bewundern, ohne von Gewissensbissen oder Erinnerungen geplagt zu werden. Sie brachte ihn wirklich ziemlich durcheinander, umso mehr, da sie so kühl und gleichgültig war.
Mit ihrer üblichen tonlosen Stimme meldete Fingel: »Seine Großartigkeit, Devoth von den Lvin, ruft Euch zu sich.« Sie hielt ihm die kleine Marke aus graviertem Silber hin, die das bewies.
»Ach ja?« Rialus nahm die Marke und fuhr mit einem Finger über das Lvin-Symbol, das darauf eingraviert war. »Was glaubst du, würde passieren, wenn ich nicht hingehe? Wenn ich sage, ich sei beschäftigt?«
Fingel stand schweigend da; ihre Miene war vollkommen ausdruckslos, als sei ihr Geist völlig leer und sie hätte ihn gar nicht gehört. Das war ihr üblicher Gesichtsausdruck. Nur ein einziges Mal hatte sie ihn direkt angesehen. Ganz am Anfang hatte er unabsichtlich Meinisch mit ihr gesprochen. Es war einfach passiert, ein Rückfall in die Zeit, die er in Cathgergen verbracht hatte, verursacht von ihren eindeutig meinischen Gesichtszügen. Sie hatte ihn mit ihren grauen Augen gemustert, und der Ausdruck in ihrem Gesicht war so traurig und mitleidig gewesen wie der, mit dem man ein Kind mit beschädigtem Verstand ansehen mochte. Und das war alles. Sie hatte sich umgedreht und ihm – soweit Rialus sich erinnern konnte – nie wieder ins Gesicht geschaut. Ihr fortwährendes Schweigen veranlasste ihn, nur noch mehr zu plappern als sonst.
»Bin ich ihm mittlerweile wichtig genug, dass er Dreistigkeiten hinnnehmen würde?«, fragte er. »Ich sollte wichtig genug sein. Wo wäre er denn ohne mich? Ich bin sein Fachmann für die Bekannte Welt. Vielleicht«, fügte er hinzu, und sein Tonfall und sein Grinsen bekamen etwas Verschwörerisches, »sollten wir ihm sagen, dass ich mich nicht gut fühle. Vielleicht Kopfschmerzen. Was meinst du?«
Das Mädchen hätte genauso gut mit offenen Augen schlafen können.
Sogar eine Schönheit wie du kann lästig werden , sagte sich Rialus im Stillen, auch wenn er es nicht ernst meinte. Laut willigte er ein: »Schön. Ich werde mich mit Seiner Großartigkeit treffen.«
Fingel drehte sich um. Er folgte ihr und konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Beinahe hätte er noch einen Abstecher zum Abtritt gemacht, ehe er aufbrach. Dort, in der fast vollständigen Abgeschiedenheit, stellte er sich regelmäßig Fingel vor, wenn er sich Lust verschaffte. Er wusste, dass er ihren Körper jederzeit hätte nehmen können, wenn er gewollt hätte. Sie war eine Sklavin und vollkommen in seiner Gewalt. Das hatte Devoth eindeutig klargestellt. Was das anging, so hatte er sich in Acacia Dienerinnen ins Bett geholt, von denen er gewusst hatte, dass sie nicht gerade übermäßig willig waren. Anscheinend gehörte das zu den Vorrechten seines Amtes. Hier jedoch war er sich nicht sicher, ob er Fingels Reaktion würde ertragen können.
Die Dienerin übergab Rialus der Obhut von vier von Devoths Sklaven-Soldaten, junge Männer mit breiter Brust, so eingebildet wie frisch ernannte Marah, aber auch missmutig. Zwei von ihnen hatten die weiße Gesichtstätowierung des Lvin-Clans. Der dritte hatte Schnurrhaare. Keiner von ihnen war mit dem Sieger des Kampfgetümmels in der Arena zu vergleichen, aber welcher Mann war das schon? Wie Fingel hatten sie kein Wort für Rialus übrig. Während sie durch die Straßen der Stadt stapften – Rialus inmitten eines von den vieren gebildeten Rechtecks –, sprachen sie gelegentlich miteinander. Warf hingegen er eine Frage oder einen Gedanken ein, antwortete ihm eisiges Schweigen. Sie verhielten sich,
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