Acacia 02 - Die fernen Lande
Rücken auf ihrer Bettdecke, strich nervös die Falten ihres Gewandes glatt und kam sich ein bisschen albern vor. Trat man Traumreisen bekleidet, nackt, oder sogar ganz ohne Körper an? Sie wusste nicht, ob ihre Vorbereitungen notwendig waren, doch sie brauchte irgendein Ritual, etwas, womit sie sich beschäftigen konnte, während der entscheidende Augenblick langsam näher rückte.
Was sie in besagtem Augenblick zu tun hatte, war ein weiteres Rätsel, das sie erst noch lösen musste. Wie auch immer Hanish seine Traumreisen unternommen hatte, er hatte es geschafft, ohne die Gottessprache jemals richtig gekannt zu haben. Vielleicht hatte er ein paar Fragmente davon benutzt. Oder vielleicht gab es auch eine andere Erklärung für seinen Erfolg. Mit dieser Frage im Hinterkopf hatte Corinn Das Lied von Elenet zu Rate gezogen. Wie immer waren die Worte und die Musik des Buches aufgestiegen und hatten sie umhüllt. Wie immer hatte sie es geschlossen und gewusst, dass sie aus dem Buch gelernt hatte, war aber nicht in der Lage gewesen, dieses Wissen genauer zu benennen oder sich gar näher damit auseinanderzusetzen.
Sie schlief eine Weile, fiel in einen unruhigen Schlummer, in dem sie die verstreichenden Stunden zählte. Abermals wach, lag sie einfach nur da, beruhigte ihren Herzschlag und ließ ihren Körper schlaff werden. Sie gestatte sich, wieder auf eine gewisse Schläfrigkeit zuzutreiben, konzentrierte sich auf ihren Atem. Nein, auf das Bewusstsein, dass ihre Gedanken etwas ganz anderes waren als ihr Körper. Sie hausten in ihm, ja, aber sie waren nicht in ihm enthalten. Nicht gefangen. Sie stellte sich vor, wie ihre wahre Essenz aus ihrem Körper herausfloss und …
Oh! So ging es nicht. Sie hob die Faust und schlug wütend auf die Matratze ein, dann setzte sie sich auf. Dies war nicht der richtige Weg. Es fühlte sich an wie etwas, das ihr ein Wahrsager raten würde. Wie irgendwelcher Unsinn, so ähnlich wie damals, als sie als Kind so getan hatte, als könnte sie im Kopf ihrer Freundin bestimmte Symbole lesen.
Benutze das Lied, dachte sie. Es beginnt alles mit dem Lied.
Sie sank zurück auf das Bett, holte tief Luft, rief die wirbelnde Musik an, die die Gottessprache war, und sang sehr leise. Sie verstand die Töne und Worte und Laute nicht vollständig, die aus ihrem Mund drangen, doch sie wusste, dass die Absicht richtig war. Sie verwob sie mit ihren Hoffnungen, mit den Vorbereitungen, die sie getroffen hatte. Bei dem Versuch, sie zu formen, während sie sich selbst von dem Lied geformt fühlte, das aus ihr herausströmte, verlor sie sich selbst.
An einem bestimmten Punkt wurde ihr klar, dass das Lied nicht mehr auf ihren Lippen war. Es war in ihr. Es war sie und würde mit ihr reisen. Sie drängte ihren Geist aufwärts, aus ihrem Körper heraus, schwebte frei über dem Bett und dann durch die Decke und darüber hinaus. Einige Zeit lang glitt sie durch die Luft über dem Palast. Was für ein merkwürdiges Gefühl! Sie war sich ihres Körpers bewusst, doch sie wusste auch, wie wenig körperlich sie war. Ein Teil von ihr schlug mit Gliedern nach der Luft, die nicht ganz da waren, die aber auch nicht ganz und gar fort waren. Letztendlich waren es Gedanken, keine körperlichen Anstrengungen, die sie durch den Raum bewegten. Mehr als Gedanken – es waren Gedanken, die von Willenskraft angetrieben wurden.
Eine Weile flog sie über dem Palast von einer Stelle zur anderen, lernte langsam, die Gegenwart anderer Seelen zu spüren, schlafenden und wachen. Sie stellte fest, dass sie sich zu manchen Individuen einfach dadurch hinbegeben konnte, indem sie nur an sie dachte und dann auf sie zuglitt. So spürte sie Rhrennas schlafende Gegenwart. Und Aadens. Sie kannte das Bett, in dem Delivegu schlummerte – nicht allein. Jeden dieser Menschen hätte sie wachrütteln können, doch sie waren nicht ihr Ziel. Ihr Ziel war jemand, der viel, viel weiter entfernt war: Dariel.
Sie beschwor jede Erinnerung an ihn herauf, die sie besaß, hielt ihre Gedanken an ihn fest, bis sie sie in sich hatte, geborgen wie die brodelnden Kugeln der Schöpfung, aus denen sie die Kreaturen baute, die sie heraufbeschwor, um Aaden zu erheitern. Das Lied half ihr. Es gab dem, was sie zu tun wünschte, Form. Sie packte die wirbelnde Verkörperung von Erinnerungen und Gedanken und Bildern und Gefühlen, die Dariel für sie war, und schleuderte sie vorwärts.
Es war, als werfe sie einen großen Ball aus Energie, ein Ding, das danach hungerte,
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