Acacia 02 - Die fernen Lande
fragte Skylene.
»Einen Augenblick«, brachte Dariel heraus. Mehr schaffte er nicht. Er musste die Idee durchdenken, die ihm gerade gekommen war. Es war eine verrückte Idee. Eine gefährliche Idee. Eine Idee, bei deren Umsetzung er es mit Kräften zu tun haben würde, die er noch nicht verstand. Weder Mór noch die Ältesten hatten es von ihm verlangt, und wenn er es vorschlug, würde er die Mannschaft – seine noch sehr neuen Freunde – bitten müssen, ebenfalls ihr Leben zu riskieren. Er sollte einfach seine Energie auf dieses Boot konzentrieren und spüren, wie es vorwärtsschoss, sollte diese Flucht fortsetzen, eine Möglichkeit finden, die anderen an Land zu bringen und dann ohne sie davonfahren. Nach Hause.
Tunnel kam vom Unterdeck herauf. »Warum haben wir angehalten?«
Warum denkst du überhaupt, was du denkst?, fragte sich Dariel. Wann ist ihr Kampf zu deinem geworden? Er packte das Steuerruder fester und hatte vor, Tunnel zu antworten, indem er das Boot wieder in Bewegung setzte. Doch obwohl er es dachte, sein Wille stand nicht dahinter. Das Boot trieb weiter antriebslos im Wasser. Andere kamen näher, murmelten untereinander, dann verstummten sie und schlossen sich dem Schweigen derer an, die auf ihn warteten.
Es war so lange her, dass er sich etwas so Waghalsiges ausgedacht hatte. Und dann fiel ihm Val ein. Was hatte er gesagt – damals, kurz bevor er sich geopfert hatte, um die Plattformen der Gilde zu zerstören? »Ich habe auf eine gute Gelegenheit gewartet, der Welt Lebewohl zu sagen. Jetzt habe ich sie gefunden.« Genau das war es. Dariel empfand jetzt etwas Ähnliches. Nicht, dass er Lebewohl sagen musste. Es war nicht der Tod, den er nahe bei sich spürte, sondern das Leben. Das wirkliche Leben! Eine Bestimmung, die hier anfing und ihn wer weiß wohin führen mochte.
»Was wäre, wenn …«, fing er an. »Was wäre, wenn wir dieses Boot nicht nach Sumerled bringen. Jetzt noch nicht, meine ich. Was wäre, wenn wir stattdessen nach Lithram Len fahren? Was wäre, wenn wir den Seelenfänger selbst zerstören, auch wenn wir dabei gegen die Gilde kämpfen müssen?«
»Dariel«, sagte Skylene, »wir sind nur zu zehnt.«
»Eine perfekte Zahl. Wer würde denn damit rechnen? Wir werden sie vollkommen überraschen.«
»Du willst Krieg gegen die Gilde führen«, sagte eine Stimme. Er konnte nicht genau sagen, wem sie gehörte.
»Habt ihr denn nicht gewusst, dass das schon die ganze Zeit geschieht?«, fragte Dariel. »Sie haben nie etwas anderes getan, als Krieg gegen uns zu führen, auf beiden Seiten des Ozeans – wir waren einfach nur zu dumm, um es zu erkennen. Krieg gegen die Gilde – ja, genau das will ich! Ich habe schon einmal gegen sie gekämpft, aber damals habe ich es nicht zu Ende gebracht.« Bei diesem Eingeständnis verspürte er plötzlich den Wunsch zu lachen. Heiterkeit strömte aus ihm heraus – unerwartete, wundervolle Heiterkeit, die alles andere verzehrte. »Schlagen wir zuerst zu.« Die Vorstellung war wunderbar, kam ihm so vollkommen richtig vor. Sie fühlte sich an wie die Herausforderung, auf die er gewartet hatte. Hier war etwas Unerledigtes, und er war sich sicher, dass dies der Anfang des Weges zu seinem Schicksal war. Noch nie hatte er das so klar und deutlich gespürt.
»Was meint ihr? Kämpfen wir gegen sie, fangen wir jetzt und hier damit an. Wir finden eine Möglichkeit. Ich hatte das nicht geplant, aber wir haben gesehen, was wir gesehen haben. Wir müssen etwas dagegen tun.«
Die Mannschaft blieb stumm; alle schauten einander an und überlegten. Dariel konnte nicht erkennen, was sie dachten. Ihre veränderten, tätowierten und verzierten Gesichter wirkten vollkommen ausdruckslos. Selbst Skylene war nichts anzusehen. Tunnel dagegen schon.
Er ließ einen seiner gewaltigen Arme auf Dariels Schulter klatschen, zeigte mit dem Finger auf Skylene und sagte: »Was habe ich dir gesagt? Rhuin Fá. Das hat Tunnel gesagt. Dariel Rhuin Fá!«
45
Corinn würde um das ganze Erdenrund herumgreifen und einen Verstand berühren müssen, der nicht damit rechnete, doch all das sollte in ihrer Macht liegen. Eine Traumreise. Sie hatte dergleichen schon früher gesehen, sie wusste, dass es möglich war. Hatte sie nicht neben Hanish Mein im Bett gelegen und gehört, wie er über große Entfernung – und sogar über die Barriere zwischen Leben und Tod hinweg – mit seinen Vorfahren gesprochen hatte? Die Tunishni waren ein boshafter Haufen Untoter gewesen, deren Macht auf
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