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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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freigelassen zu werden. Sie raste hinterher, klammerte sich daran, schoss vorwärts über das Innenmeer. Oh, es fühlte sich so wunderbar an! Was für eine Geschwindigkeit. Sie sah Acacia entschwinden, als sie zwischen Kidnaban und Kap Fallon hindurchglitt. Es dauerte nicht lange, und die Berge von Senival rumpelten unter ihr dahin wie eine Herde wild fliehender Geschöpfe. Wundervoll. Solche Macht. Solche Freiheit. Sie raste über die Küste und weiter, bis …
    Sie vergaß, was sie tat. Ihre Vorwärtsbewegung wurde langsamer. Ein paar Augenblicke lang spürte sie, wie die Macht, die sie gezogen hatte, erst in der einen und dann in der anderen Richtung suchte. Und dann hielt sie einfach an. In Geistform, gefeit vor Kälte und Angst, hing Corinn hoch über den Grauen Hängen in der Luft. Unter ihr wogte der Ozean in nie endenden Wellenbewegungen auf und ab. Während sie ihn betrachtete, wusste sie plötzlich, dass die Wogen der ganzen Erde Leben schenkten. Sie sah nach unten und wusste, dass es nichts Schrecklicheres geben konnte als ein totes Meer. Denn das bedeutete eine tote Erde.
    Aber warum denke ich das? Ich habe einen Grund, hier zu sein. Ich suche nach …
    Sie riss die Augen auf, keuchte, stieß den Atem so laut aus, dass sie einen Augenblick lang dachte, sie hätte geschrien. Und als sie sich in ihrem Gewand auf dem Bett aufsetzte und die mit Weihrauch geschwängerte Luft einatmete, wurde ihr klar, dass sie versagt hatte. Dariel! Sie war zu Dariel geflogen, angetrieben von ihren Gedanken an ihn, war zu dem Ort oder Schicksal gerast, das ihn ausmachte – wie auch immer es aussehen mochte … doch dann hatte die Energie, die sie angetrieben hatte, bemerkt, dass sie nicht wusste, wo sie hinsollte. Sie hätte in der Lage sein müssen, ihn zu finden, aber da war keine Witterung, keine Spur, nicht einmal ein intuitives Gefühl, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Ab einem bestimmten Punkt war nichts mehr da. Deshalb hatte sie irgendwo draußen über den Grauen Hängen haltgemacht. Sollte ihr Bruder da draußen sein, so hatte sie nicht die Macht, ihn zu finden.
    »Dariel«, sagte sie. Und als sie seinen Namen aussprach, verspürte sie eine merkwürdige, schreckliche Gewissheit, dass sie ihn niemals wiedersehen würde, weder im Leben noch mithilfe des Liedes.
    Der folgende Tag verging ganz ähnlich wie der, der ihm vorangegangen war. Eine Besprechung nach der anderen. Eine Aufgabe vor der anderen. Ihr letztes offizielles Treffen an diesem Nachmittag galt Baddel, dem obersten Winzer von Prios. Sie hielt es kurz, wollte sein Gesicht mit den rosigen Hängebacken nicht allzu lange ansehen müssen. Er saß ihr gegenüber am anderen Ende des Tischs, so unansehnlich wie immer, in eine schwarze Jacke gequetscht, die so eng war, dass er kaum seine fetten Arme bewegen konnte. Sie wartete seine kriecherische Begrüßung mit all den übertriebenen Lobpreisungen nicht bis zum Ende ab.
    »Sind die Versuche mit der Weinlese weiterhin gut verlaufen, seit wir uns das letzte Mal unterhalten haben?«
    »Ja, natürlich! Besser als gut. Seht hier, die Berichte …« Er hantierte mit seinen Papieren herum, stand auf, um sie ihr zu geben.
    »Erzähl es mir einfach«, sagte Corinn. Sie bedeutete ihm mit einer herablassenden Bewegung ihrer Finger, dass er sitzen bleiben sollte. »Läuft alles so gut, wie ihr es euch vorgestellt habt? Der Wein hebt die Stimmung der Menschen und gibt ihnen ein Glücksgefühl, betäubt aber nicht ihren Verstand?«
    »Ganz recht. Man könnte beinahe sagen, er schärft …«
    »Und wenn sie ihn einmal versucht haben, werden sie für immer danach lechzen?« Der Mann nickte heftig. »Was passiert, wenn ihnen der Wein vorenthalten wird?«
    »Es gibt keinen Grund, warum er ihnen vorenthalten werden sollte. Wir haben gewaltige Vorräte von allen Zutaten, die nötig sind, um ihn herzustellen. Wir haben genug, dass es reicht, bis wir den bevorstehenden Krieg gewonnen oder verloren haben.«
    »Das ist gut. Aber, noch einmal, was passiert, wenn man ihnen den Wein vorenthält? Du hast zuvor gesagt, dass sie alles tun werden, um ihn zu bekommen – aber wenn sie ihn nicht bekommen können, was passiert dann mit ihnen? Wie lange wird es dauern, bis sie sich wieder erholt haben?«
    Das Nicken hörte auf. Baddel schürzte die Lippen; dabei sah er so dumm aus, dass Corinn ihm am liebsten geohrfeigt hätte. »Ich weiß es nicht. Wir haben niemandem den Wein auf Dauer vorenthalten. Sie waren so …«, er grinste und

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