Acacia 02 - Die fernen Lande
Euer Majestät, das glaube ich.«
In dieser Nacht versuchte Corinn – nachdem sie bei Aaden gewesen war und Heilung in seinen schlafenden Körper gesungen hatte – erneut, eine Traumreise zu unternehmen. Sie wartete sogar noch länger als in der vorangegangenen Nacht, und sie suchte sich dieses Mal ein anderes Zielobjekt aus. Dariel mochte unerreichbar sein. Vielleicht war er tot, oder vielleicht würde die Verbindung zwischen ihnen niemals wirklich zustande kommen. Sie versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken. Denke nur, bis du weißt, was du zu tun hast. Dann handle. Dieses Mal, als ihr Geist emporstieg, sich von der Hülle ihres Körpers löste und den langen Flug durch die dunkle Nacht begann, war es der Name eines anderen Mannes, den sie vor sich ausrief, hinter dem sie herraste. Und sie fand ihn überraschend schnell.
Ihre Füße berührten nicht im eigentlichen Sinne den Boden des Zimmers, doch sie hielt am Fußende eines Bettes an, in dem ein Mann schlief. Sein Gesicht war hinter einem Kissen verborgen, die Arme weit ausgebreitet. Er sah aus wie jemand, der gerade erstickt war, doch seine leise pfeifenden Atemzüge zeugten davon, dass er noch am Leben war.
»Wach auf«, befahl sie.
Der Mann wälzte sich in den Betttüchern hin und her und lag dann wieder still.
»Wach auf!«
Corinn legte all ihre Willenskraft in diesen Befehl, und dieses Mal glitt eine Gestalt aus dem Körper, der unter den Decken verborgen war. Sie hätte nicht sagen können, ob das Abbild bekleidet oder nackt war – genauso wenig, wie sie es von sich selbst hätte sagen können. Er war einfach, wie er war. Viele Einzelheiten seiner Umrisse verschwammen, waren unbeständig oder durchscheinend. Andere unverkennbare Züge zeigten sich dagegen gleichzeitig klar und deutlich. Schmale Schultern. Ein gewisses Maß an Verwirrung. Auf eine Weise gedämpft und beunruhigt, die sich körperlich durch zerzauste Haare gezeigt hätte, jetzt aber Teil der geistigen Erscheinung war. Sein Gesicht, erschlafft und mit stumpf blickenden Augen, war genauso, wie sie es in Erinnerung hatte – und auch der Mund stand genauso offen. Wie bizarr, dass sie in Geistform um die Welt herumgreifen konnte und immer noch feststellen musste, dass Rialus Neptos … nun ja, eben Rialus Neptos war.
»Königin Corinn?«, fragte er.
Sie antwortete nicht, schaute sich stattdessen in dem Zimmer um. Sie hätte nicht sagen können, was sie erwartet hatte, aber ein großes Bett gehörte gewiss nicht dazu. Ebenso wenig ein Schlafzimmer mit hübsch gestalteten Möbeln, Wandbehängen und Teppichen, die so dick waren, dass sie einem an den Zehen saugen mussten, wenn man über sie hinwegschritt. Auch in Acacia besaß Rialus keine besseren Gemächer!
Ihr Blick richtete sich wieder auf ihn. »Das hier finde ich sehr merkwürdig«, stellte sie fest.
Sein Kopf zuckte von einer Seite zur anderen, als er das, was sie sich gerade angesehen hatte, doppelt so schnell betrachtete wie sie. »Das ist … äh … schwer zu erklären.«
Corinn wollte ihn schon auffordern, es trotzdem zu tun, doch sie wusste, dass sie die Verbindung mit ihm nicht lange würde aufrechterhalten können. Sie spürte bereits die Müdigkeit, die daher rührte, dass sie so weit von ihrem Körper entfernt war. Spürte den Sog, der sie zu diesem Körper zurückzog, und wusste, dass er mit jedem Augenblick, der verstrich, stärker werden würde. Und irgendwie wusste sie auch, dass sie in Gefahr war. Wenn etwas – oder jemand – den langen Faden zertrennte, der sie mit ihrem körperlichen Selbst verband, könnte sie für immer verloren sein. Könnte tot sein, auch wenn ihr Körper noch einige Zeit in einem langen Schlaf weiterleben würde.
»Rialus Neptos«, unterbrach sie seine gestammelten Erklärungsversuche. Sie versuchte, direkt und ruhig zu sprechen, damit er auch er ruhiger werden würde. »Ist Dariel noch am Leben?«
»Dariel? Oh …«
»Beantworte einfach nur die Fragen, die ich dir stelle, mehr nicht. Antworte einfach nur. Ist Dariel am Leben?«
»Ich weiß es nicht.« Rialus überlegte einen Augenblick lang. »Ich … ich glaube es nicht. Es hat einen schrecklichen Kampf gegeben …«
»Du kannst mir nichts über Dariel sagen?«
»Nein. Ich wünschte, ich könnte es, aber …«
Corinn kochte vor Ungeduld. An Rialus’ Gesichtsausdruck und daran, wie der Raum sich klarer herausschälte, erkannte sie, dass ihr die Intensität ihrer Gefühle anzusehen war. Er hatte seine Aufmerksamkeit
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