Acacia 02 - Die fernen Lande
niemand. Den ganzen Nachmittag hatten sie geplant, beraten und diskutiert. Nach allem, was sie beim ersten Mal gesehen hatten, gab es keine Möglichkeit für sie, ungesehen nahe an den Hafen heranzukommen. In jener Nacht, als sie zu einer Zeit, da eigentlich alles hätte still und tot sein müssen, daran vorbeigekommen waren, war er viel zu hell erleuchtet gewesen und hatte von Arbeitern und Ishtat-Wachen und Gildenmännern gewimmelt, die eifrig damit beschäftigt gewesen waren, die Insel in Beschlag zu nehmen. Sich eine bestimmte Tages- oder Nachtzeit auszusuchen, würde ihnen also offensichtlich nicht helfen. Am Ende waren sie sich alle einig gewesen. Sie würden genau das tun, was sie jetzt gerade taten: in den Hafen einlaufen, als gehörten sie dazu, als wüssten sie, was sie vorhatten und wären genauso eifrig an der Arbeit wie alle anderen.
Der Plan war alles andere als perfekt. Vielleicht würde er gelingen, vielleicht auch nicht. Sie konnten leicht entdeckt werden. Und wenn das geschah, würden sie wahrscheinlich sterben. Doch sie konnten nicht einfach davonfahren, ohne es zumindest versucht zu haben. Dariel war selbst ein wenig verwundert, woher seine Entschlossenheit rührte – aber eben nur ein wenig. Er wusste, dass dies eine gute Gelegenheit war, einen Teil der Schuld abzutragen, die seine Familie auf sich geladen hatte. Wie hätte er etwas anderes tun können, als es zu versuchen? Darüber hinaus war es einfach ein schönes Gefühl. Wieder der Kapitän eines Schiffs zu sein. Mit einer Mannschaft, die seine Befehle befolgte, auch wenn er sie jedes Mal erklären musste. Und sie vertrauten ihm. Sonst hätten sie niemals zugelassen, dass er sie in den Rachen ihrer Feinde steuerte. Skylene hatte ihm sogar einen Dolch gegeben, eine kleine, gerade Klinge, die er sich in den Gürtel gesteckt hatte. Ja, zumindest im Moment war er einer von ihnen.
Während er das Schiff näher an die Kais heransteuerte, huschte sein Blick suchend hierhin und dorthin, während er gleichzeitig nach Gefahr Ausschau hielt. Er wusste, dass die Fässer hier irgendwo sein mussten. Die Gilde hatte ihre flammenden Waffen immer bei sich. Sie würden nach Möglichkeit abseits der Schiffe gelagert sein, fern vom Zentrum des geschäftigen Treibens.
Da! Ja, da, am hinteren Ende des Hafens, am Ende eines langen Piers, waren Fässer aufgestapelt. Er erkannte sie an der Farbe: leuchtend rot. Es waren Hunderte. Auf dem benachbarten Pier wurde gearbeitet, aber der Bereich um die Fässer herum war verlassen. Während Dariel versuchte, langsamer zu denken als der Puls, der in seiner Kehle pochte, steuerte er das Schiff in aller Ruhe quer durch den Hafen, wendete und glitt dann so auf die Stege an dessem hintersten Ende zu, dass sie einigermaßen vor neugierigen Blicken geschützt waren.
Sobald sie angelegt hatten und das Boot festgemacht war, wandte Dariel sich an seine wartende Mannschaft. »Das ist es. Das Pech in den Fässern da drüben erzeugt ein unglaubliches Feuer. Es wird den Seelenfänger in Stücke reißen und dann noch tagelang weiterbrennen. Je mehr Fässer wir kriegen können, desto besser. Also los, schnell, aber ruhig.«
Sie konnten sich nicht sicher sein, dass die Gilde Angehörige des Volkes als Arbeiter einsetzte. Da die Sklaven der Lothan Aklun nicht unbedingt auf die gleiche Weise herausgeputzt waren, achteten diejenigen mit den deutlichsten Zeichen ihrer »Zugehörigkeit« darauf, sich nicht sehen zu lassen. Und so kauerten Skylene, Tunnel, die beiden anderen aus dem Kern-Clan und Birké auf der seewärts gelegenen Seite des Decks, während sich die anderen unter Dariels Anleitung daranmachten, die Fässer vom Pier an Bord zu schaffen.
Der benachbarte Pier schien jedes Mal ein bisschen näher herangerückt zu sein, wenn Dariel zu ihm hinüberschaute. Glücklicherweise war das Schiff, das dort angelegt hatte, auf der anderen Seite vertäut, so dass die allgemeine Aufmerksamkeit in die andere Richtung ging – weg von ihnen. Eine Schar Wachen des Ishtat-Inspektorats stieg vom Schiff und stand einige Zeit plaudernd daneben. Dariel schaffte weitere Fässer an Bord und zurrte sie fest, doch er beobachtete die Ishtat bei jeder Gelegenheit. Er roch den Rauch einer Nebelpfeife, die einer der Männer rauchte. Genieße sie, dachte er. Entspann dich einfach und genieße deine Pfeife und dreh dich nicht um.
Die Fässer waren so schwer, dass sie gekippt und gerollt und dann vorsichtig vom Pier in die an Bord wartenden Hände
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