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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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die inneren Räume auszumachen. Er empfand das tiefe Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, ihr zu erklären, was ihm dargelegt worden war, und sich Möglichkeiten auszudenken, wie sie mitkommen könnte, obwohl er wusste, dass das nicht ging. Wren sprach nicht sehr viel, und sie war auch nicht sehr gefühlsbetont, doch das hinderte ihn nicht daran zu versuchen, mit ihr zu reden und ihr Gefühle entlocken zu wollen, die seinen eigenen gleichkamen.
    Wren saß auf dem Bett und wartete auf ihn. Er räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen, und sie blickte auf, erhob sich. Sie trug ein langes, kompliziert besticktes Gewand aus Satin. Als sie auf ihn zukam, legte er sich mehrere Begrüßungssätze zurecht, doch die sinnliche Art und Weise, wie sie die Füße aufsetzte und ihre schwingenden Hüften raubten ihm die Sprache. Sie öffnete den Gürtel, ließ das Gewand von den Schultern gleiten und schritt weiter auf ihn zu, schlank und wunderbar geformt. Dann lächelte sie, und auch Dariel lächelte. Keiner sagte ein Wort.

4

    Der Mann hatte so viele Jahre in den Minen von Kidnaban geschuftet, dass es ihm jetzt schwerfiel, aufrecht zu stehen. Da er wusste, dass er noch ein paar Augenblicke allein sein würde, versuchte er es auch gar nicht. Er lehnte sich gegen die Mauer des Lagerhauses und hörte, wie auf der anderen Seite der gedämpfte Wortwechsel weiterging. Schon als Junge war er groß gewesen, und seit er zum jungen Mann herangewachsen war, überragte er beinahe jeden, neben dem er stand, um Haupteslänge. Doch das galt nur, wenn er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. Während der Jahre in den Minen hatte er wenig Gelegenheit dazu gehabt. Entweder war er tief gebückt die unterirdischen Gänge entlanggeschlurft, oder er hatte sich unter schweren Lasten abgemüht, die er auf den Schultern balancieren musste, während er die zahllosen Leitern hinaufstieg, die aus der Tiefe bis zur Oberfläche führten. Nach zwanzig solchen Jahren war sein Rückgrat an Stellen gekrümmt, an denen es in seiner Jugend gerade gewesen war. Nun fühlte er sich nur noch in einer Haltung wohl, zusammengerollt auf der Seite in den wenigen Augenblicken, ehe der Schlaf zu ihm kam. Ansonsten bestand sein Leben aus körperlichen Beschwerden von unterschiedlichem Ausmaß. Er sagte sich, dass es besser so war; auf diese Weise würde er niemals vergessen, warum seine Arbeit ihm mehr bedeutete als alles andere.
    Ein Tür in der Nähe schwang abrupt auf, und ein hagerer Mann tauchte auf, blinzelte im hellen Tageslicht, und sah sich um, während er mit einer Hand die Augen beschattete. »Barad! Da bist du ja. Komm herein, sie werden dich jetzt anhören.« Er winkte den großen Mann zu sich heran, und als Barad ihn erreichte, packte er ihn am Ellbogen und sagte begeistert: »Hier ist es sicher, mein Freund. Du brauchst keine Angst zu haben, solange du in Nesreh bist. Wir sind Freunde!«
    Barad der Geringere ließ sich führen. »Das weiß ich«, sagte er. Seine Stimme rumpelte wie gegeneinanderstoßende Felsbrocken und war so tief, dass sie aus dem Innern der Erde zu kommen schien. »Deine Leute sind gute Menschen, Elaz. Sonst wäre ich nicht hier.«
    Als Barad eintrat, konnte er nur wenig erkennen. Der Raum wurde nur durch schmale Schlitze hoch oben in der Decke und Lampen mit rauchgeschwärztem Glas erhellt. Die feuchte Hitze, die Ausdünstungen vieler Leiber und die gedämpften Geräusche, die die Luft erfüllten, zeigten ihm jedoch sogleich, dass das Lagerhaus voller Menschen war. Sie warteten und schwiegen nun, da er endlich unter ihnen war.
    Barad richtete sich auf, wobei er sich größte Mühe geben musste, das Gesicht nicht zu verziehen. Er hob das Kinn und blähte die Nasenflügel, als er den beruhigenden Atemzug einsog, den er brauchte, um ganz gerade dazustehen. Vielleicht war es gerade deshalb so beeindruckend, weil es ihn solche Anstrengung kostete. Er war ein großer Mann, mit langen Beinen und Armen und großen Händen mit Fingerknöcheln, um die ihn jeder Straßenschläger beneidet hätte, und er spürte die Blicke der Anwesenden. Sie waren beeindruckt, vielleicht auch misstrauisch. Diese Wirkung hatte er schon immer auf andere Menschen gehabt. Und das war auch der Grund, warum er keine Eile hatte, mit seiner Rede anzufangen. Sollten sie ihn ruhig einen Moment betrachten. Sollten sie die angespannte Entschlossenheit in seinen groben Gesichtszügen erkennen, oder seine Augen mit den schweren Lidern, die auf eine abgeklärte, melancholische

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