Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
Wamsjacken und tief
dekolletierten Kleidern – und in manchen stecken sogar wirkliche
Menschen.
    Pierre schnaubt schon wieder: Irgendjemand (vielleicht Gavin mit
seinem historischen Tick?) hat dafür gesorgt, dass es auch
authentisch riecht. Hoffentlich muss keiner kotzen. Wenigstens ist
anscheinend noch kein Mensch auf die Idee gekommen, als Katharina de
Medici aufzutreten…
    Mehrere Schauspieler, die hugenottische Soldaten verkörpern,
nähern sich dem Thron, auf dem Amber mittlerweile Platz genommen
hat. Langsam vorwärts schreitend, eskortieren sie einen recht
verwirrt wirkenden Mann. Er hat langes, strähniges Haar und
trägt eine Jacke, die offenbar aus Goldbrokat gefertigt ist.
»Seine Lordschaft, der bevollmächtigte Anwalt Alan
Glashwiecz!«, verkündet ein Lakai, der die Worte von einem
Pergament abliest. »Hierher entsandt auf Geheiß der
ehrenwerten Gilde und Körperschaft namens Smoot &
Sedgwick-Kanzlei, um mit Ihrer Königlichen Hoheit wichtige
juristische Angelegenheiten zu erörtern!«
    Trompeten schmettern. Pierre blickt zur Königlichen Hoheit
hinüber, die huldvoll nickt, allerdings leicht gereizt wirkt:
Der Sommertag ist schwül, und in dem Gewand mit den tausend
Unterröcken ist ihr sicher sehr warm. »Willkommen im
fernsten Teil des Ring-Imperiums«, sagt sie mit klarer,
glockenheller Stimme. »Ich entbiete Euch meinen Gruß und
bitte Euch, mir Euer Gesuch in aller Öffentlichkeit vor dem
versammelten Hof vorzutragen.«
    Pierre wendet die Aufmerksamkeit Glashwiecz zu, der beunruhigt
aussieht. Zweifellos hat er sich die grundlegenden Dinge des
höfischen Protokolls angeeignet, das in diesem Teil des Ringes
gilt (die Einwohnerzahl zu Hause beträgt insgesamt
achtzehntausend, es handelt sich um ein aufstrebendes kleines
Fürstentum). Allerdings braucht es stets ein bisschen, bis die
Besucher verdaut haben, dass es sich bei diesem Fürstentum
tatsächlich um eine altmodische Monarchie handelt, die
sich auf drei Säulen stützt: auf Ambers Macht, auf
Information und auf Zeit.
    »Dem komme ich zwar sehr gern nach«, erwidert er ein
bisschen steif, »doch vor all diesen…«
    Der Rest des Satzes entgeht Pierre, weil ihn jemand in die linke
Pobacke zwickt und er zusammenzuckt. Als er sich halb umdreht,
bemerkt er Su Ang, die, ganz Hofdame, an ihm vorbei auf den Thron
blickt. Sie trägt ein aprikotfarbenes Gewand mit eng anliegenden
Ärmeln und einem Mieder, das alles oberhalb der Brustwarzen
entblößt. In ihr Haar sind Perlen eingeflochten, die ein
kleines Vermögen darstellen. Als er Notiz von ihr nimmt,
zwinkert sie ihm zu.
    Pierre lässt die Szenerie erstarren und koppelt sich selbst
mit Su Ang vom realen Geschehen ab. »Sind wir jetzt
allein?«, fragt sie und wendet sich zu ihm um.
    »Glaub schon. Du möchtest was mit mir besprechen?«
Ihm schießt das Blut in die Wangen. Der Lärm ringsum ist
ein computergeneriertes Zufallsgemisch aus Geräuschen einer
Menschenmenge. Die Leute ringsum rühren sich nicht, während
Pierre und Su Ang unabhängig vom Rest der Welt in der Handlung
fortfahren, denn ein Agent hat ihnen ein Stück geteilter
Realität verschafft.
    »Stimmt!« Sie lächelt ihm zu und zuckt die Achseln,
was sich bemerkenswert auf ihre Brüste auswirkt. Die Mieder
dieser Epoche hätten wohl selbst Skeletten ein ansehnliches
Dekolletee verliehen. Erneut zwinkert sie ihm zu. »O
Pierre«, sagt sie lächelnd, »wie leicht es doch ist,
dich abzulenken!« Als sie mit den Fingern schnippt,
durchläuft ihre Bekleidung schnell einen ganzen Zyklus: von der
afghanischen Burka übers Evakostüm bis zum Hosenanzug und
zurück zu höfischem Putz. Das Einzige, das sich nicht
verändert, ist ihr Grinsen. »Da du mir soeben deine ganze
Aufmerksamkeit widmen durftest, kannst du jetzt aufhören, mich
anzustarren. Sieh lieber ihn an.«
    Noch stärker aus der Fassung gebracht, blickt Pierre auf
ihren ausgestreckten Arm, der auf den vorübergehend erstarrten
maurischen Gesandten weist. »Meinst du Sadeq?«
    »Sadeq kennt den Mann, Pierre. Mit diesem
Neuankömmling stimmt was nicht, da ist was faul.«
    »Scheiße, ja. – Und du denkst, das sei mir
neu?« Pierre sieht sie verärgert an, alle Verlegenheit ist
vergessen. »Hab ihn schon mal gesehen. Hab seine Rolle in diesem
Spielchen seit Jahren verfolgt. Der Kerl dient nur als Fassade
für die Königinmutter. Er war ihr Scheidungsanwalt, als sie
Ambers Dad zur Schnecke machen wollte.«
    »Dann bitte ich um Entschuldigung.« Ang wendet den Blick
ab. »In letzter

Weitere Kostenlose Bücher