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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Zeit warst du gar nicht mehr du selbst, Pierre.
Und das liegt daran, dass zwischen dir und der Königin irgendwas
schief läuft, soviel weiß ich. Ich hab mir Sorgen gemacht.
Du achtest zu wenig auf die winzigen Details.«
    »Und wer, glaubst du, hat Amber gewarnt?«
    »Oh… Okay, also bist du eingeweiht. Ich weiß es
nicht genau. Jedenfalls warst du in letzter Zeit mit den Gedanken
häufig woanders. Kann ich dir irgendwie helfen?«
    »Hör zu.« Pierre legt Su Ang die Hände auf die
Schultern. Sie rührt sich nicht, aber sieht ihm in die Augen,
und dazu muss sie den Blick heben, denn sie ist nur einen Meter
sechzig groß. Er spürt den Anflug eines seltsamen
Gefühls: die Unsicherheit eines männlichen Teenagers,
sofern es Freundschaften mit Frauen betrifft. Was will sie von
mir? »Das ist mir alles klar, und es tut mir Leid. Will
versuchen, mich besser zu konzentrieren; in letzter Zeit hab ich mich
viel in eigene Gedanken verloren. Wir sollten zur Audienz
zurückkehren, ehe jemand unsere Abwesenheit bemerkt.«
    »Möchtest du erst noch über das Problem
reden?«, fragt sie und lädt ihn damit ein, sich ihr
anzuvertrauen.
    »Ich…« Pierre schüttelt den Kopf. Ich
könnte ihr tatsächlich alles sagen, wird ihm klar, und
das verunsichert ihn, während sein Meta-Bewusstsein zum Aufbruch
drängt. Zwar gibt es ein paar Agenten, denen er sich bei
Seelenqualen wie guten Tanten anvertrauen kann, doch Ang ist ein
Mensch aus Fleisch und Blut und eine Freundin. Sie wird kein Urteil
über ihn fällen. Außerdem ist das, was sie sich unter
menschlichem Sozialverhalten vorstellt, tausendmal besser als alles,
was irgendein Expertensystem dazu zu sagen hat.
    Aber die Zeit droht ihnen davonzulaufen. Dazu kommt noch, dass
Pierre sich wie ein Drecksack fühlt. »Jetzt nicht«,
erwidert er. »Lass uns zurückkehren.«
    »Okay.« Sie nickt, wendet sich ab und tritt mit
raschelnden Röcken hinter ihn. Gleich darauf hebt er die
Erstarrung auf und lässt die angehaltene Zeit weiterlaufen.
Erneut nehmen sie ihren Platz im größeren Universum ein,
gerade rechtzeitig, um zu erleben, wie sich der respektvoll
behandelte Besucher bei der Königin mit einer Musterklage
revanchiert. Die Königin reagiert darauf, indem sie auf die
spezielle Urteilsfindung verweist, von der sie in diesem Fall
Gebrauch machen will: das persönliche Duell der
Kontrahenten.
     

     
    Hyundai +4904 / -56 ist ein Brauner Zwerg, ein
Klumpen schmutzigen kondensierten Wasserstoffs aus der Kinderstube
des Alls, achtmal massiver als der Jupiter, aber nicht so massiv,
dass er in seinem Kern eine stabile Fusionsreaktion erzeugen
könnte. Der unnachgiebige Druck der Schwerkraft ist stärker
als die wechselseitige Abstoßung der Elektronen, die in seinem
Kern gefangen sind, sodass der Zwerg zu einer matschigen Hülle
rund um eine Kugel degenerierter Materie geschrumpft ist. Er ist kaum
größer als der Gasriese, den das Raumschiff der Menschen
als Energiequelle nutzt, aber sehr viel dichter. Es ist Gigajahre
her, dass es fast zu einem stellaren Zusammenstoß gekommen
wäre. Das hatte zur Folge, dass der Zwerg, umgeben von einer
Gruppe erkalteter Monde, die um ihn herumscharwenzelten, allein in
die Galaxie hinaustrudelte, dazu verdammt, in ewiger Dunkelheit
dahinzutreiben.
    Als sich die Field Circus mit gedrosseltem Tempo dem Zwerg
nähert, befindet sich Hyundai +4904 / -56 nur
knapp ein Parsek von der Erde entfernt, ist ihr sogar näher als
Proxima Centauri. Inzwischen hat die Field Circus das
Hauptsegel abgeworfen; es treibt jetzt weiter in den interstellaren
Raum hinaus, reflektiert dabei Licht und wirft es zurück auf die
Oberfläche des verbliebenen Nebensegels, um das Starwhisp zu
bremsen. Auf sichtbaren Wellenlängen ist der völlig dunkle
Zwerg überhaupt nicht auszumachen. Er hätte bis zu den
äußeren Regionen des Sonnensystems treiben können,
ehe herkömmliche Teleskope ihn mittels direkter Beobachtung
hätten aufspüren können. Erst eine Infrarotsuche in
den frühen Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat dem
Zwerg einen Namen verliehen.
    Auf der Brücke (die jetzt mit einem Zehntel der
Echtzeit-Geschwindigkeit arbeitet) hat sich eine ganze Gruppe von
Passagieren und Besatzungsmitgliedern eingefunden, um die Ankunft zu
verfolgen. Amber sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf dem
Kapitänssitz und beobachtet missmutig die versammelten Avatare.
Pierre geht ihr, abgesehen von offiziellen Audienzen, bei jeder
Gelegenheit aus dem Weg. Der verdammte Haifisch von

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