Accelerando
–
frühreife Ergänzungen des Borganismus, aus dem der
Franklin-Trust besteht.
An einen Hügel geschmiegt, der sich seinerseits unsicher
an den inneren Rand einer Drehscheibe klammert, liegt dort eine
Piazza. Ihr Pflaster besteht aus Material, das unbearbeitetem
Marmor ähnelt. Darüber wölbt sich ein riesiger
schwarzer Himmel, der sich langsam um eine auf Jupiter
ausgerichtete Mittelachse dreht.
Amber rekelt sich in einem Sessel aus Rohrgeflecht. Sie hat die
Beine ausgestreckt und einen Arm über die Stirn gelegt. Auf
den Tischen ringsum sind die Überreste eines unglaublich
guten Essens verteilt. Träge und satt streichelt sie die
Katze, die sich in ihrem Schoß zusammengerollt hat. Pierre
ist irgendwo unterwegs, besucht das eine oder andere prototypische
Ökosystem, das der eine oder andere Borgangehörige mit
besonderen Interessen gerade testet. Was Amber betrifft, so will
sie damit nicht behelligt werden. Gerade hat sie ein wunderbares
Essen genossen, sie hat jetzt keine Klagen am Hals, über die
sie sich den Kopf zerbrechen müsste, zu Hause ist alles auf
den Weg gebracht, und selten genug kann sie sich mal so richtig
entspannen…
»Hältst du noch Verbindung zu deinem Vater?«,
fragt Monica.
»Hm.« Amber streichelt die Flanke der Katze, die
leise schnurrt. »Wir tauschen E-Mails aus. Ab und
zu.«
»War nur neugierig.« Monica ist die Mutter des
örtlichen Borg-Dens. Sie ist gertenschlank, hat braune Augen
und spricht einen täuschend schwerfälligen Dialekt:
Yorkshire-Englisch, in den sich die Sprache von Silicon Valley
gemischt hat.
»Weißt du, ich höre von Zeit zu Zeit von ihm.
Jetzt, wo Gianni Ruheständler ist, hat dein Vater da unten
nicht mehr viel zu tun. Deshalb hat er davon geredet, hierher zu
kommen.«
»Was? In die Jupiter-Region?« Bestürzt
reißt Amber die Augen auf. Aineko hört zu schnurren auf
und sieht Monica vorwurfsvoll an.
»Mach dir keine Sorgen.« Irgendwie wirkt Monica
belustigt. »Ich glaube nicht, dass er dich behindern
würde.«
»Aber hier draußen…« Amber setzt sich auf.
»Verdammt«, sagt sie leise. »Was ist nur in ihn
gefahren?«
»Die Rastlosigkeit des mittleren Alters, sagen meine
Geschwister da unten.« Monica zuckt die Achseln.
»Diesmal hat Annette ihn nicht davon abgehalten. Allerdings
hat er sich diese Reise noch nicht hundertprozentig in den Kopf
gesetzt.«
»Gut. Dann wird er vielleicht gar nicht…« Amber
führt den Satz nicht zu Ende. »Dieser Ausdruck in den
Kopf gesetzt – was genau willst du damit sagen?«
Monica, die Ältere von beiden, lächelt und mokiert
sich einige Sekunden über Amber, ehe sie klein beigibt.
»Er redet davon, sich heraufzuladen.«
»Bringt dich das in eine irgendwie peinliche Lage?«,
fragt Ang. Leicht verärgert sieht Amber zu ihr hinüber,
doch Ang blickt nicht in ihre Richtung. Da merkt man doch, was
man an Freunden hat denkt Amber sarkastisch. Als
Königin über alles im Umfeld zu herrschen ist eine
todsichere Methode, Beziehungen mit Gleichaltrigen
kaputtzumachen…
»Das wird er nicht tun«, prophezeit Amber. »Dad
ist innerlich ausgebrannt.«
»Seiner Meinung nach wird’s schon wieder werden, wenn
er sich zum Wiedereintritt in Höchstform bringt.« Immer
noch lächelt Monica. »Ich hab ihm gesagt, dass es genau
das ist, was er braucht.«
»Ich will nicht, dass mein Vater mich abnervt. Oder meine
Mutter. Oder Tante Nette und Onkel Gianni. Nachricht an die
Einwanderungskontrolle: Keine Einreisegenehmigung für Manfred
Macx oder die anderen hier aufgeführten Personen ohne
vorherige Rücksprache mit dem Sekretariat der
Königin.«
»Was hat er denn angestellt, dass du so zickig
bist?«, fragt Monica beiläufig.
Amber seufzt und sinkt zurück auf den Sessel.
»Nichts. Ist ja nicht so, dass ich undankbar wäre oder
so, nur ist er ein solcher Extroprianer, dass es schon peinlich
ist. Als wäre das die Apokalypse des letzten Jahrhunderts
gewesen, versteht ihr?«
»Meiner Meinung nach war er ein wirklich sehr
zukunftsorientierter Organischer«, erklärt Monica, die
hier für den ganzen Franklin-Borg spricht. Amber wendet den
Blick ab. Pierre würde’s kapieren, denkt sie.
Pierre würde ihre Aversion dagegen, dass Manfred hier
auftaucht, verstehen. Auch Pierre möchte sich hier seine
eigene Nische einrichten, ohne dass ihm seine Eltern über die
Schulter gucken, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Sie
wendet den Blick einem mehr oder weniger
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