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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
erwachsenen Mann zu
– könnte Nicky sein, denkt sie, allerdings hat
sie ihn lange nicht gesehen –, der völlig nackt und
wunderbar gebräunt auf die Piazza zugeht.
    »Eltern. Wozu sollen die schon gut sein?«, fragt
Amber mit der ganzen Aufsässigkeit ihrer siebzehn Jahre.
»Selbst wenn sie sich auf die neue Zeit einstellen
können, fehlt es ihnen irgendwann an Flexibilität.
Außerdem ist es seit Urzeiten Tradition, die eigenen Kinder
wie Sklaven zu halten. Unmenschlich nenne ich das.«
    »Und wie alt warst du, als man dich unbesorgt allein zu
Hause lassen konnte?«, hält ihr Monica entgegen.
    »Drei. Damals habe ich meine ersten Implantate
bekommen.« Amber lächelt der sich nähernden Adonis
zu, der ihr Lächeln erwidert. Ja, es ist Nicky, und er
scheint sich über das Wiedersehen zu freuen. Das Leben ist
doch schön, denkt sie und fragt sich dabei
beiläufig, ob sie Pierre von diesem Wiedersehen erzählen
soll oder lieber nicht.
    »Die Zeiten ändern sich«, bemerkt Monica.
»Schreib deine Familie nicht voreilig ab. Kann ja sein, dass
mal eine Zeit kommt, in der du sie um dich haben willst.«
    »Ha!« Amber sieht die alte Borg-Komponente an und
zieht eine Schnute. »Das sagt ihr alle!«
     

     
    Kaum hat Amber Gras unter den Füßen, spürt sie,
wie sich in ihrer Umgebung neue Möglichkeiten auftun. Sie
verfügt hier über Management-Autorität, Vorzugsstatus,
was den Zugang zum Netzwerk betrifft, außerdem ist dieses
Universum im Unterschied zu Sadeqs existentieller Falle wirklich
groß und weit offen.
    Eine kleine Programmänderung stellt ihr Selbstbild wieder
her: Sie hat jetzt wie zuvor kurzes Haar und trägt bequeme
Klamotten.
    Eine weitere Änderung beschert ihr eine ganze Ladung
nützlicher Diagnostik. Amber hat das unangenehme Gefühl,
sich innerhalb einer Sandbox zur Überprüfung der
Kompatibilität zu befinden. Es gibt Anzeichen dafür, dass
ihr Zugang zum Kontroll-Interface des Simulationssystems
hauptsächlich über einen Proxy erfolgt – aber
wenigstens hat sie überhaupt Zugang.
    »Wow! Endlich wieder in der realen Welt!« Sie kann sich
kaum bremsen, so stark ist ihr Hochgefühl. Sie vergisst sogar,
Sadeq übel zu nehmen, dass er sie für eine billige
Schauspielerin in seinem persönlichen Cartesischen Theater
gehalten hat, das eine puritanische Vorstellung von Hölle zum
Besten gegeben hat. »Schauen Sie mal! Es ist die DMZ!«
    Sie stehen auf einer grasbedeckten Hügelkuppe, die Ausblick
auf eine schimmernde mediterrane Stadt bietet. Die Stadt döst
unter einer mandelbrotartig ausgefransten künstlichen Sonne, die
im Zentrum einer hyperbolischen Landschaft hängt, träge vor
sich hin. Weiter drüben verschmilzt die Landschaft mit einem
blauen Himmel, der unbegreiflich fern wirkt. Kreisrunde hellblaue
Schächte sind in regelmäßigen Abständen in die
Mauern dieser Welt eingelassen und schaffen Verbindungen zu anderen
Teilen des vielfältigen Gebildes. »Wie groß ist es,
Gespenst? Ausgedrückt in Größenordnungen eines
simulierten Planeten?«
    »Die demilitarisierte Zone ist eine in sich geschlossene,
eingebettete Realität und bewerkstelligt alle Transfers zwischen
dem Router des örtlichen Sternsystems und der Zivilisation, die
ihn geschaffen hat. Sie benutzt dazu ein Tausendstel Kapazität
des Matroschka-Gehirns, dessen Teil sie ist. Allerdings hat sich die
derzeit aktive semiotische Anomalie, die hier herumgeistert, den
größten Teil davon einverleibt. Wisst ihr, wie ein
Matroschka-Gehirn funktioniert?« Das Gespenst klingt wie ein
Oberlehrer.
    Sadeq schüttelt den Kopf, was Amber mit einem scheelen Blick
quittiert. »Man nehme alle Planeten eines Sternsystems und
demontiere sie«, doziert sie. »Man verwandelt sie also in
Staub – strukturiertes Nanocomputronium, das vom
Wärmeaustausch gespeist wird und sich in konzentrischen
Umlaufbahnen um den Stern im Zentrum gruppiert. Die inneren Orbitale
erreichen fast den Schmelzpunkt von Eisen, während die
äußeren so kalt wie flüssiger Stickstoff sind. Und
jede Schicht gibt ihre Abwärme von innen nach außen an die
nächste weiter. Das System ähnelt einer russischen Puppe in
der Puppe und besteht aus Dyson-Sphären. Jedes Gehäuse
umfasst also ein weiteres. Allerdings ist das alles nicht zur
Versorgung von Menschen und der Bewahrung menschlichen Lebens da. Es
ist Computronium – Materie, die auf atomarer Ebene so optimiert
ist, dass sie Datenverarbeitungen und Rechnerleistungen
unterstützt. Und auf all diesen

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