Accelerando
dieser Tanks und
vergnügt sich mit einem Schneeballspiel. Oder er wartet
vorsichts’alber ab, bis sich die Aufregung gelegt
’at.« Sie dreht sich wieder um und starrt Amber mit
großen, braunen, seelenvollen Augen an. »Das ’ier
wird nicht ein solches Familientreffen werden, wie du es dir
er’offt ’ast.«
»Nicht…« Amber holt tief Luft, es ist der zehnte
oder zwölfte Atemzug mit diesen neuen Lungen. »Was ist mit
deinem Körper? Früher warst du doch ein Mensch. Und was
geht hier vor?«
»Dort, wo es zählt, bin ich immer noch ein Mensch«,
erwidert Annette. »Ich gebrauche solche Körper, weil sie
sich für niedrige Schwerkraft eignen und mich daran erinnern,
dass ich nicht mehr in der Welt des Fleisches lebe. Und es gibt noch
einen weiteren Grund.« Mit einer fließenden Bewegung
deutet sie auf die offene Tür. »Du wirst feststellen, dass
sich ’ier viel verändert ’at. Dein Sohn ’at
einiges…«
»Mein Sohn.« Amber blinzelt. »Ist er
derjenige, der mich verklagt hat? Und welche Version von mir? Wie
lange ist das her?« Eine Flut von Fragen schießt ihr durch
den Kopf, platzt heraus und verwandelt sich in strukturierte Anfragen
in allen öffentlichen Sektionen des geistigen Raums, zu denen
sie Zugang hat. Als sie sich die eigentliche Bedeutung klar macht,
weiten sich ihre Augen. »0 Scheiße! Sag mir
bloß nicht, dass sie schon hier ist!«
»Ich furchte, sie ist bereits da. Sirhan ist ein seltsames
Kind. Er gerät ganz nach seiner Grandmère. Die er
selbstverständlich zu seiner Party eingeladen
’at.«
»Zu seiner Party?«
»Meine Güte, ja doch! ’at er dir denn nicht
erzählt, um was es ’ier geht? Er veranstaltet eine Party.
Um die Eröffnung seiner speziellen Einrichtung zu feiern, die
Eröffnung des Familienarchivs. Er ’at die Klage einstweilig
auf Eis gelegt, zumindest für die Dauer der Party. Deshalb sind
ja alle ’ier – selbst ich.« Der Affenkörper
grinst sie blöde an. »Ich fürchte, er ist von meiner
Kleidung recht enttäuscht.«
»Erzähl mir von diesem Archiv.« Amber kneift die
Augen zusammen. »Und von diesem Sohn, dem ich noch nie begegnet
bin und mit dessen Erzeuger ich nie Sex hatte.«
»Du möchtest also alles erfahren?«
»Allerdings.« Amber rappelt sich ächzend hoch.
»Ich brauche was zum Anziehen. Und weiche Möbel. Und wo
bekomme ich hier was zu trinken?«
»Ich zeig’s dir«, erwidert der Orang-Utan und
entfaltet sich so, als steckten in seinem orangefarbenen Pelz innere
Röhren, bis er schließlich aufrecht steht. »Zuerst
etwas zu trinken.«
Zwar ist das Boston Museum of Science das wichtigste
architektonische Gebilde des Wasserlilien-Habitats, doch keineswegs
das einzige. Es ist lediglich das dümmste Gebäude, denn es
besteht aus unintelligenter Materie, die aus der Epoche vor der
Aufklärung übrig geblieben ist. Durch eine Passage im
Dienstbereich führt der Orang-Utan Amber, die im Schein der
faseroptischen Ringlichter sehr nackt wirkt, in die milde Nacht
hinaus. Unter ihren Füßen spürt sie kühles Gras.
Ein sanfter Luftzug strömt fortwährend zu den Verteilern am
Rande dieser kleinen Welt, die ihn in den Kreislauf zirkulierender
Luft zurückführen. Sie folgt dem schlurfenden Orang-Utan
einen grasbedeckten Hügel hinauf, kommt an einer Trauerweide
vorbei und biegt um eine Kurve von dreihundertneunzig Grad, hinter
der die Welt in ihrem Rücken sofort in Unsichtbarkeit versinkt.
Schließlich treten sie in ein Haus, dessen Wände aus
gesponnenen Wolken bestehen und von dessen Decke Mondlicht
strömt.
»Was ist das?«, fragt Amber entzückt.
»Irgendein Aerogel?«
»Nein…« Annette rülpst, steckt eine Hand in
den Fußboden und zieht ein kleines Nebelgebilde hervor.
»Mach einen Sessel«, befiehlt sie. Der Nebel nimmt feste
Gestalt an und gewinnt Form und Textur, bis die glaubwürdige
Reproduktion eines Sessels aus der Queen-Anne-Epoche auf dünnen
Beinen vor Amber steht. »Und auch einen für mich. Verkleide
die Wände und such eines meiner Lieblingsmotive aus.« Die
Wände ziehen sich ein wenig zurück, härten sich und
überziehen sich mit Farbe, Holz und Glas. »Das
wär’s.« Der Affe grinst Amber an. »’ast
du’s jetzt bequem?«
»Aber ich…« Amber hält inne und mustert die
vertraute Kamineinfassung, die Reihe von Nippes, die Baby-Fotos, die
aufgrund ihrer Farbsubstanzen bis in alle Ewigkeit glänzen. Es
ist ihr Kinderzimmer. »Ihr habt das ganze Zimmer hierher
gebracht? Und nur meinetwegen?«
»Man weiß ja
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