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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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bei der Ausarbeitung des Wahlprogramms
helfen kann, aber er hat sich mit ihr und Dad den ganzen Tag lang
eingeigelt.« Sie zieht eine Grimasse. »Ich hatte eine
weitere Anprobe bei den Image-Verkäufern. Die versuchen, aus mir
einen wandelnden Kleiderständer zu machen, der nebenbei auch
noch Politik macht. Und dann sind da ja auch noch die demografischen
Aufgaben. Auf unserem Planeten kommen derzeit rund tausend neue
Einwanderer pro Tag an, aber diese Zahl wächst rapide. Bis zur
Wahl werden es wohl achtzig pro Stunde sein. Was große Probleme
aufwirft, denn wenn wir zu früh mit dem Wahlkampf beginnen, wird
ein Viertel der Wählerschaft gar nicht wissen, worüber
abgestimmt werden soll.«
    »Vielleicht steckt eine Absicht dahinter«, überlegt
Rita. »Vielleicht versucht der missratene Nachwuchs das
Wahlergebnis dadurch zu beeinflussen, dass er uns mit neuen
Wählern überschwemmt.« Ambers offener Kanal
übermittelt ihr ein Smiley-Emoticon, das sie mit dem Icon eines
breiten Grinsens beantwortet. »Die Partei der Idioten wird
gewinnen, das ist keine Frage.«
    »Äh-äh.« Amber schnippt mit den Fingern, wobei
sie das Gesicht ungeduldig verzieht. Sie wartet darauf, dass eine
vorbeiziehende Wolke über ihrem Kopf feste Gestalt annimmt und
ihr ein Glas Preiselbeersaft präsentiert. »Eine Sache, die
Dad erwähnt hat, trifft den Nagel auf den Kopf. Wir
konzentrieren diese ganze Debatte auf die Frage, was wir am besten
tun, um einen Konflikt mit dem missratenen Nachwuchs zu
vermeiden. Hauptsächlich geht der Streit darum, wie wir denen
entkommen können, wie weit unsere Flucht gehen soll und in
welches Programm zu investieren ist – nicht darum, ob und wann wir fliehen sollen. Und schon gar nicht darum, welche
Alternativen wir sonst noch haben. Vielleicht hätten wir
über Letzteres intensiver nachdenken sollen. Werden wir
manipuliert?«
    Ritas Blick wirkt sekundenlang leer. »Ist das als Frage
gemeint?« Als Amber nickt, schüttelt sie den Kopf.
»Dann muss ich wohl zugeben, dass ich es nicht sagen kann.
Bislang haben wir keine schlüssigen Beweise dafür. Aber ich
habe ein ungutes Gefühl. Der missratene Nachwuchs will
uns nicht verraten, was er vorhat. Aber nichts spricht dafür,
dass seine Leute seinerseits im Ungewissen sind, was wir vorhaben. Ich meine, schließlich können die uns mit ihren
Gedanken einen Ring durch die Nase ziehen, oder nicht?«
    Amber zuckt die Achseln und bleibt gleich darauf stehen, um ein
Tor in der Hecke zu öffnen, das zu einem Irrgarten mit
süßlich riechenden Büschen führt. »Die
Frage kann ich wirklich nicht beantworten. Mag sein, dass wir denen
völlig gleichgültig sind oder sie nicht mal mehr wissen, ob
wir überhaupt existieren. Vielleicht hat irgendein autonomer
Mechanismus, der eigentlich gar nicht zum höheren Bewusstsein
dieses Nachwuchses gehört, die neu simulierten Menschen
erzeugt. Oder es steckt irgendein durchgeknalltes Mem dahinter, das
immer noch der Ideologie der Tipleriten anhängt. Ein Mem, dessen
Datenverarbeitungskapazität größer ist als die des
gesamten Netzes vor der Singularität. Vielleicht handelt es sich
auch um ein MetaMormonen-Projekt, das sicherstellen will, dass jeder
Mensch, der irgendwann und irgendwo gelebt hat, im jetzigen Leben den rechten Weg einschlägt und irgendwelche bizarren
quasireligiösen Anforderungen erfüllt, über die wir
nichts wissen. Kann aber auch sein, dass es eine Botschaft ist, die
wir nicht entschlüsseln können, weil wir dazu schlichtweg
nicht schlau genug sind. Wir können es nicht sagen, genau das
ist ja unser Problem.«
    Rita beeilt sich, Amber wieder einzuholen, die gerade um eine
Kurve des Irrgartens biegt. Als sie merkt, dass Amber einen anderen
Weg einschlagen will, setzt sie ihr mit großen Sprüngen
nach. »Was könnte sonst noch dahinterstecken?«, keucht
sie.
    »Es könnte«, Amber wendet sich nach links,
»alles und jedes dahinterstecken.« Sechs Stufen führen
zu einer dunklen Passage hinunter. Wenn man rechts abbiegt,
führen fünf Meter weiter sechs Stufen wieder zur
Oberfläche hinauf. »Die Frage ist, warum sie«, Amber
biegt links ab, »uns nicht einfach sagen, was sie
wollen?!«
    »Und sich mit Bandwürmern unterhalten.« Fast
gelingt es Rita, Amber einzuholen, die so zielstrebig durch den
Irrgarten trabt, als hätte sie sich den Weg vollständig
gemerkt. »Denn in einem solchen Maßstab
überflügelt uns das in der Entwicklung begriffene
Matroschka-Gehirn; zu dem Gehirn von Menschen verhält es sich

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