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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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gestaltete M2P2-Kapsel, die mit dem Bug
verbunden ist. Die M2P2-Kapsel besteht aus einem Plasma-Segel, das
eine von Daewoos Fabrikationsanlagen zur Herstellung von
Hitzeschilden im Orbit zusammenmontiert hat. Die Kapsel hat Sadeq und
seine voll gestopfte Raumstation in nur vier Monaten zum Jupiter
befördert, indem sie den Solarwind zum Surfen genutzt hat.
    Sadeqs Präsenz vor Ort mag ein Triumph für die
islamische Gemeinschaft sein, aber er fühlt sich hier
draußen sehr allein. Als er die kompakten Spiegel des
Observatoriums auf die Sanger richtet, ist er von deren
Größe und funktionalem Äußeren beeindruckt. Die
überlegene Größe verrät die Effizienz der
finanziellen Instrumente des Westens – der halb-autonomen
Investment-Trusts, die aufgrund ihrer flexiblen Abrechnungsmodi
für bestimmte Geschäftsvorhaben die Entwicklung
kommerzieller Raumerschließung überhaupt erst
ermöglicht haben. Der Prophet, Friede sei mit ihm, mag
Wucherzinsen verdammt haben, aber es hätte ihm wahrscheinlich zu
denken gegeben, hätte er oberhalb des Großen Roten Flecks
diese Motoren der Kapitalbildung ihre Macht demonstrieren sehen.
    Nach Verrichtung seiner Gebete bleibt Sadeq noch einige kostbare
Minuten auf der Matte sitzen. In dieser Umgebung fällt ihm das
Meditieren schwer. Wenn man sich schweigend niederkniet, wird man
sich des Summens der Klimaanlage, des Gestanks alter Socken und alten
Schweißes, des metallischen Ozongeruchs, der von den
elektronischen Sauerstoffgeneratoren ausgeht, deutlich bewusst. Es
ist schwer, sich Gott in diesem Raumschiff aus dritter Hand zu
nähern, das vom arroganten Russland ans ehrgeizige China
weitergereicht wurde, bis es schließlich in die Hände der
religiösen Treuhänder von Qom gelangte, die bessere
Verwendung dafür haben, als einer der heidnischen Staaten sich
träumen lässt. Sie haben es geschafft, diese Raumstation im
Spielzeugformat weit ins All zu katapultieren; aber wer weiß
schon, ob es wirklich Gottes Wille ist, dass Menschen hier, in der
Umlaufbahn dieses aufgeblähten fremden Riesenplaneten,
leben?
    Sadeq schüttelt den Kopf, rollt die Matte zusammen und
verstaut sie mit stillem Seufzen neben der einsamen Luke. Ein Anflug
von Heimweh macht ihm zu schaffen, Sehnsucht nach seiner Kindheit im
heißen, staubigen Yazd und nach den vielen Jahren, die er als
Student in Qom verbracht hat. Er reißt sich zusammen, indem er
Bestandsaufnahme in der Station macht, die ihm mittlerweile genauso
vertraut ist wie die Plattenbauwohnung im vierten Stock, in der seine
Eltern – der Vater Arbeiter in einer Automobilfabrik, die Mutter
Hausfrau – ihn großgezogen haben. Das Innere der
Raumstation ist etwa so groß wie ein Schulbus und ein buntes
Durcheinander aus Speicherraum, Konsolen mit Instrumenten und frei
liegenden Röhren. Jedes Fleckchen wird ausgenutzt.
    Neben einem Wärmeaustauschgerät, das ihm in letzter Zeit
Ärger bereitet hat, wackeln einige Kügelchen mit
Frostschutzmitteln wie gestrandete Quallen. Sadeq rappelt sich hoch,
um die Spritzflasche zu suchen, die er für solche Zwecke
aufbewahrt, sammelt sein Werkzeug auf und trägt einem seiner
Agenten auf, den relevanten Teil des Betriebshandbuchs für ihn
herauszusuchen. Es ist an der Zeit, die leckende Stelle ein für
alle Mal zu reparieren.
    Etwa eine Stunde wird er angestrengt arbeiten, danach
gefriergetrockneten Lammeintopf essen, mit einer Linsenpaste und
gekochtem Reis. Dazu ein Glas starken Tees, um alles
hinunterzuspülen. Später wird er sich hinsetzen und die
nächste Folge der Flugmanöver durchgehen. Vielleicht, so
Gott will, wird das System keine weiteren Alarmmeldungen von sich
geben, sodass er sich ein, zwei Stunden zwischen den Abendstunden und
den letzten Gebeten des Tages seiner Forschung widmen kann.
Vielleicht hat er übermorgen sogar Zeit, ein paar Stunden zu
entspannen und sich einen der alten Filme anzusehen, die ihn wegen
ihrer Einsichten in fremde Kulturen so faszinieren:
möglicherweise Apollo 13.
    Es ist nicht leicht, als Besatzung an Bord eines Raumschiffs mit
langwieriger Mission zu leben. Und für Sadeq ist es noch
schwerer, ganz allein hier oben, ohne jemanden, mit dem er reden
kann. Denn die Verzögerung in der Kommunikation mit der Erde
beträgt hin und zurück jeweils mehr als eine halbe Stunde.
Und so weit er weiß, ist er der einzige Gläubige im
Umkreis von einer halben Milliarde Kilometer.
     

     
    Amber wählt eine Nummer in Paris und wartet darauf, dass
jemand abnimmt. Sie kennt die

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