Accelerando
Schlampe ihres Vaters, während das Läuten das
Ende des Gesprächs ankündigt.
Ein Werkzeugpaket löst sich von der Bohrmeißel-Drohne
der Sanger und stürzt auf den kartoffelförmigen
Felsen fünfzig Kilometer weiter unten zu. Im Hintergrund
wölbt sich ein riesiger Jupiter; das Bild wirkt wie die
impressionistische Fototapete eines verrückten Kosmologen.
Pierre beißt sich auf die Unterlippe, während er sich
darauf konzentriert, das Paket mit dem Werkzeug zu steuern.
In einen schwarzen Schlafsack gehüllt, kauert Amber wie eine
große Fledermaus über seinem Kopf und genießt ihre
Freiheit – die Freiheit für eine Schicht. Sie blickt auf
Pierres Kopf mit dem Topfhaarschnitt herunter, auf die drahtigen
Arme, die beide Seiten des Sichtschirms umspannen, und fragt sich,
was sie ihm als Nächstes auftragen soll. Einen Tag lang einen
Sklaven zur Verfügung zu haben, ist eine interessante Erfahrung.
Das Leben an Bord der Sanger ist so hektisch, dass niemand
viel Freizeit genießen kann, zumindest so lange nicht, bis die
großen Habitate fertig gestellt sind und die
Satellitenschüssel mit der hohen Bandbreite wieder zur Erde
weist.
Sie wickeln alles nach einem überaus komplizierten Plan ab,
ausgearbeitet von dem Unterstützungsteam, das auch den
kritischen Pfad ausgetüftelt hat, und da bleibt kaum Spielraum
für Müßiggang. Die Expedition basiert auf der
schamlosen Ausbeutung von Kinderarbeit, denn Kinder belasten die
Versorgungssysteme weniger als Erwachsene. Die Kinder müssen
zwölf Stunden am Tag arbeiten, damit die Expedition einen
Fuß in die Tür zur Zukunft bekommt. (Wenn sie älter
und Nutznießer aller Rechtstitel sind, werden alle diese Kinder
reich sein. Allerdings hat das die aufgebrachte, blökende
Schafsherde auf dem Heimatplaneten nicht davon abgehalten, das
Projekt in Bausch und Bogen zu verdammen.) Für Amber ist die
Möglichkeit, einen anderen Menschen für sich arbeiten zu
lassen, eine neue Erfahrung. Sie versucht, das Beste aus jeder Minute
herauszuholen.
»He, Sklave«, ruft sie träge, »wie
läuft’s denn so?«
Pierre schnieft. »Ganz okay.« Er weigert sich, zu ihr
hinaufzublicken, wie Amber bemerkt. Er ist zwölf. Müsste
er in diesem Alter nicht ganz wild auf Mädchen sein? Als sie
seine stille, intensive Konzentration bemerkt, streckt sie heimlich
die digitalen Fühler nach ihm aus, doch er lässt in keiner
Weise erkennen, dass er es registriert hat. Es prallt einfach an ihm
ab, ohne seinen mentalen Panzer zu durchbrechen. »Hab’s auf
Reisegeschwindigkeit gebracht«, bemerkt er lakonisch,
während zwei Tonnen von Metall, Keramik und Diamantbohrern mit
einer Geschwindigkeit von dreihundert Stundenkilometern auf die
Oberfläche des Asterioden zurasen. »Hör auf, mir auf
die Pelle zu rücken. Es wird eine Phasenverschiebung von drei
Sekunden eintreten, und ich möchte nicht in eine
Feedback-Schleife geraten.«
»Ich rück dir auf die Pelle, wann immer ich will,
Sklave.« Sie streckt ihm die Zunge raus.
»Und wenn du mich dazu bringst, alles fallen zu
lassen?«, fragt er und blickt mit ernster Miene zu ihr auf.
»Sollen wir das hier überhaupt tun?«
»Schütz du deinen Arsch, ich schütze meinen«,
erwidert sie und wird gleich darauf knallrot. »Du weißt
schon, was ich meine.«
»Ach ja?« Pierre grinst breit und wendet sich wieder der
Konsole zu. »Oh, das ist keineswegs witzig. Du musst deine
Sprachzentren, wer immer sie auch kontrollieren mag, dringend so
programmieren, dass… Sie geben viel zu viele Zweideutigkeiten
von sich. Jemand könnte dich irrtümlich für eine
Erwachsene halten.«
»Kümmer du dich um deine Angelegenheiten, ich
kümmer mich um meine«, erwidert sie nachdrücklich.
»Und du kannst damit anfangen, indem du mir erzählst, was
da vor sich geht.«
»Gar nichts.« Er lehnt sich zurück,
verschränkt die Arme, blickt auf den Bildschirm und zieht eine
Grimasse. »Das Paket wird jetzt fünfhundert Sekunden lang
schweben, danach erfolgt die Kurskorrektur auf halber Strecke, und
kurz vor der Landung zünden die Bremsraketen. Es wird dann eine
Stunde zum Auspacken brauchen, gleich darauf entrollen sich die
Kabel. Was willst du eigentlich? Soll ich dir dazu noch ein
Nudelschnellgericht servieren?«
»Aha.« Amber breitet die Fledermausflügel aus,
lehnt sich mitten in der Luft zurück und starrt auf das Fenster.
Während Pierre sich durch Ambers Tagschicht rackert,
genießt sie das süße Nichtstun der Wohlhabenden.
»Weck mich, wenn’s was
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