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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Cartoon-Hund mit Schlappohren und einer unglaublich starken
Erektion, der ihr anatomisch undurchführbare Vorschläge ins
Ohr säuselt, während er anzüglich an sich herumspielt.
»Scheiß drauf!«
    Amber, bis dahin abgelenkt, schreckt auf, lässt voller Wut
ihren Papierstoß fallen und wirft einen neuen Avatar auf den
Schirm. Es ist ein Avatar, den sich einer ihrer Agenten über
Nacht ausgedacht hat. Er heißt Spike und ist keineswegs
freundlich: Er reißt dem Hund den Kopf ab und pinkelt ihm in
die Luftröhre, die anatomisch korrekt dargestellt ist,
würde es sich um einen Menschen handeln. Danach blickt sie in
die Runde und versucht herauszubekommen, welches der blöde
lachenden Kinder und verwirrten Computer-Freaks ihr eine so
hässliche Botschaft hat zukommen lassen.
    »Kinder! Beruhigt euch!« Als sie sich umsieht, merkt
sie, dass eine der Franklins die Gruppe mit gerunzelter Stirn
mustert. Es ist die dunkelhäutige Frau Nummer eins, die in den
zwanzigern sein muss. »Können wir euch nicht mal eine halbe
Kilosekunde aus den Augen lassen, ohne dass ihr
herumstreitet?«
    Amber zieht eine Schnute. »Das ist kein Streit, sondern ein
heftiger Meinungsaustausch.«
    »Ha!« Die Franklin lehnt sich mitten in der Luft mit
verschränkten Armen zurück, während sich ihr/deren
Gesicht zu einer Maske herablassender Selbstgefälligkeit
verzieht. »Das kenn ich schon von früher. Jedenfalls«,
auf einen Wink der Frau/des Franklin-Kollektivs verschwindet die
Szene vom Bildschirm, »habe ich Neuigkeiten für euch
verflixte Kinder. Unserem Anspruch auf Schürfrechte wurde
stattgegeben! Die Fabrik nimmt die Arbeit auf, sobald wir den Antrieb
heruntergefahren und unsere Anwälte den Papierkram erledigt
haben. Jetzt haben wir die Chance, für unseren Unterhalt selbst
aufzukommen…«
     

     
    Blitzartig fällt Amber eine uralte Geschichte ein, die in
ihrer Zeitlinie fünf Jahre zurückliegt. Als sie gedanklich
zurückspult, befindet sie sich in einer Art Ranchhaus mit zwei
Stockwerken, das im Westen der USA liegt. Es ist eine Bleibe auf
Zeit, so lange gemietet, bis Ambers Mutter die Steuerprüfung in
einem veralteten Produktionsbetrieb abgeschlossen hat. Dort werden
längst überholte VLSI-Siliziumchips für ebenso
überholte Pentagonprojekte gestanzt.
    Ambers Mutter, die in ihrem dunklen Kostüm und mit den
Ohrringen, die getarnte Überwachungskameras sind, bedrohlich
erwachsen wirkt, beugt sich über sie. »Du gehst zur Schule,
basta.«
    Sie ist eine eiskalte, blonde, jungfräuliche Madonna und eine
der produktivsten Beutejägerinnen der Steuerfahndung. Sie kann
gewiefte Geschäftsführer schon dadurch in Panik versetzen,
dass sie sie nur anblinzelt. Amber, ein kleiner, strohblonder Rabauke
von acht Jahren mit einer verwirrenden Mischung von Identitäten
– aufgrund ihrer Unerfahrenheit kann sie zwischen sich selbst
und dem Netz noch keine klare Grenze ziehen –, ist noch nicht
fähig, wirksam zurückzuschlagen. Nach einigen Sekunden
äußert sie einen recht schwachen Protest: »Will aber
nicht!« Einer der Daemons, die ihr Verhalten überwachen,
flüstert ihr zu, sie habe falsch angesetzt, also spezifiziert
sie ihre Einwände. »Die werden mich fertig machen, Mom. Ich
bin viel zu anders als sie. Du möchtest, dass ich mit
Gleichaltrigen verkehre, ich weiß, aber ist dafür nicht
die Netzverbindung da? Ich kann wirklich gut von zu Hause aus Kontakt
zu denen aufnehmen.«
    Mom tut etwas Unerwartetes: Sie kniet sich so hin, dass sie auf
Augenhöhe mit Amber ist. Sie befinden sich auf dem Teppich im
Wohnzimmer, das mit dem braunen Cord und der grell orangefarbenen
Tapete im Paisley-Muster ganz im Retro-Look der Siebzigerjahre
eingerichtet ist.
    Endlich einmal sind sie allein. Die Hausroboter verstecken sich,
während die Menschen Hof halten. »Hör mir zu, mein
Liebling.« Moms Stimme klingt wie gehaucht; es schwingen
Emotionen mit, die so stark und erdrückend sind wie das Eau de
Cologne, das sie im Dienst benutzt, um den Angstgeruch ihrer Kunden
zu überdecken. »Ich weiß, dass dein Vater dir solche
Sachen mit seinen Briefen in den Kopf setzt, aber sie entsprechen
nicht der Wahrheit. Du brauchst die Gesellschaft, die
körperliche Nähe von Kindern deines Alters. Du bist ein natürliches Kind, nicht irgendein künstlich
hergestelltes Monster, trotz der Verstärkungen in deinem
Schädel. Und natürliche Kinder wie du brauchen
Gesellschaft, wenn sie aufwachsen, sonst werden sie seltsam. Bei der
Sozialisation geht es nicht nur

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