Accelerando
was Tante
Annette ihr schicken konnte, falls Daddy es mit einem Zaubertrick so
programmiert hat, dass es sie hier tatsächlich rausholen kann.
Falls es nicht funktioniert, wird Mom sie heute Abend zur Kirche
mitnehmen. Und sie ist sicher, dass sie letztendlich wieder eine
Szene machen wird. Ambers Verständnis für vorsätzliche
Dummheit hat fast seine Grenzen erreicht. Und selbst, wenn der
wirkliche Grund dafür, dass Mom ihr diesen Mist aufzwingt, darin
liegen mag, dass sie Ambers memetische Immunität stärken
und sie davor bewahren will, jede geistige Modeströmung
mitzumachen – bei Mom weiß man das nie –, ist die
Lage überaus gespannt. Besonders, seitdem Amber wegen einer
feurigen Verteidigung der Evolutionstheorie aus dem
Kindergottesdienst geflogen ist.
Die Katze schnüffelt am Drucker herum. »Warum wirfst du
ihn nicht an?« Amber öffnet den Deckel, entfernt die
schützenden Styropor-Chips und stöpselt das Gerät ein.
Auf dessen Rückseite ist ein Surren zu hören, gleich darauf
steigt Abwärme auf: Der Drucker kühlt die Druckköpfe
auf Betriebstemperatur herunter und registriert Amber gleichzeitig
als rechtmäßige Besitzerin. »Was mache ich
jetzt?«
»Ruf die Seite auf, auf der BITTE LESEN steht, und richte
dich nach deren Instruktionen«, leiert die Katze in
gelangweiltem Singsang herunter, blinzelt ihr zu und imitiert recht
übertrieben einen französischen Akzent. »Le BITTE LESEN ent’ält Anweisungen pour das
Gerät dans le boit. Falls du damit nischt klarkommst,
frage Aineko, die isch dir mitschicke, um Rat.« Plötzlich
verzieht die Katze die Nase so, als wolle sie nach einem unsichtbaren
Insekt schnappen. »Warnung: Verlass disch nicht auf die
Meinungen der Katze deines Vaters. Sie ist ein perverses Biest, man
kann ihr nicht trauen. Deine Mutter ’at dabei ge’olfen, der
Katze die Mem-Basis – die Gedankenbausteine – einzugeben,
als sie noch mit deinem Vater ver’eiratet war. Ende.« Aber Ainekos Grummeln hört damit noch nicht auf:
»Verfluchte, dreckige Pariser Schlampe. Der piss ich irgendwann
in die Schublade mit der Unterwäsche. Und mauser mich in ihrem
Bidet, dann hat sie eine haarige Bescherung…«
»Red nicht so gemeines Zeug.« Amber ruft hastig die
Seite mit der Aufschrift BITTE LESEN auf. Solche Geräte
können, wenn man Daddy glauben mag, wahre Wunder wirken. Und
dieses hier ist in jeder Hinsicht exotisch: Es kommt von einer GmbH
aus dem Jemen, die versucht, sowohl den Anforderungen und
Bestimmungen der Scharia als auch der übergreifenden globalen
Gesetzgebung Genüge zu tun. Es ist nicht leicht, dieses
Gerät zu verstehen, selbst wenn man über ein
persönliches Netz von intelligenten (wenn auch nicht mit eigenem
Bewusstsein begabten) Agenten verfügt, die unbeschränkten
Zugang zu ganzen Bibliotheken des internationalen Handelsrechts
haben. Es übersteigt fast das Begriffsvermögen; Amber
findet das, was sie liest, höchst verwirrend. Und das liegt
weder daran, dass die Hälfte davon in Arabisch verfasst ist
– schließlich hat sie Übersetzungsprogramme –,
noch daran, dass der Text mit schlecht verdaulichen Ausdrücken
der Programmiersprachen SEXP und LISP gespickt ist. Nein, die Firma
behauptet offenbar, ihr einziger Daseinszweck bestehe im Besitz von
Leibeigenen!
»Was ist da los?«, fragt sie die Katze. »Um was
geht’s hier überhaupt?«
Die Katze niest und setzt gleich darauf eine angewiderte Miene
auf. »Das hier war nicht meine Idee, Gnädigste. Dein
Vater ist völlig verrückt, und deine Mutter hasst ihn sehr,
weil sie immer noch in ihn verliebt ist. Sie hat echte Macken, ist
dir das klar? Vielleicht sublimiert sie die auch, falls es ihr mit
diesem religiösen Mist tatsächlich ernst ist, den sie dir
aufzwingt. Dein Vater hält deine Mutter für einen
Kontrollfreak, und da hat er nicht ganz Unrecht. Jedenfalls hat sie,
nachdem dein Vater abgehauen ist, um sich eine neue Domina zu suchen,
eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt. Allerdings hat
sie vergessen, auch seine Lebensgefährtin einzubeziehen, also
hat die diese Büchse der Pandora besorgt und an dich
abgeschickt, verstehst du? Annie ist ein richtiges Miststück,
aber sie frisst ihm sozusagen aus der Hand. Jedenfalls hat er diese
Firmen und diesen Drucker – der im Unterschied zum Drucker
deiner Mutter nicht an einen Filter-Proxy angeschlossen ist – zu
dem einzigen Zweck geschaffen, dich auf legale Weise von ihr
loszueisen. Falls das in deinem Sinne ist.«
Amber scrollt hastig
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