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Accra: Roman (German Edition)

Accra: Roman (German Edition)

Titel: Accra: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kwei Quartey
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nach einer Woche Schwerstarbeit auf der Farm in Jakwa, seinem Heimatdorf im Westen, hatte er derart wunde Füße gehabt. Accras Straßen waren hart und erbarmungslos.
    Als er den Bahnhof erreichte, hatte der Regen aufgehört. Er überquerte die Kwame Nkrumah Road Richtung Station Road. Abgesehen von leuchtenden Firmenschildern über einzelnen Lagerhäusern gab es hier keinerlei Straßenbeleuchtung. Dunkelheit hüllte das verfallende alte UTC-Gebäude ein, das eines von Accras schicksten Kaufhäusern gewesen war, bevor Ebenezer geboren wurde. Immer noch waren Leute auf den Straßen, spazierten herum, redeten, aßen oder spielten Karten, aber später, wenn die Armen vor den Ladenfenstern schliefen, würde alles einsam und finster sein.
    Als er um die Ecke in die Knutsford Avenue bog, stieß Ebenezer mit jemandem zusammen und trat einen halben Schritt zurück. Er machte sich sofort bereit, den Angreifer abzuwehren, als er erkannte, wer es war. Tedamm war achtzehn. Und er trieb sich schon sehr lange hier herum. Tedamm war größer als alle anderen, kantig und muskulös. Tatsächlich sah er aus wie aus Stein gemeißelt. Sein Blick wurde hart, als er Ebenezer sah.
    »Hey, Kleiner, wie geht’s?«, fragte Tedamm verächtlich. Er holte spielerisch nach Ebenezer aus, der sich beide Fäuste schützend vors Gesicht hielt.
    Wie immer waren seine Jungs, Antwi und Ofosu, bei Tedamm und folgten ihm wie streunende Hunde, die auf Abfälle hofften. Die beiden waren ihm völlig ergeben und machten alles, was er ihnen sagte.
    »Was fällt dir ein, an meiner Ecke Schuhe zu putzen?«, fragte Tedamm Ebenezer.
    »Das ist nicht deine Ecke.«
    »Die war schon meine, bevor du aus deinem Dorf nach Accra gekrochen bist.«
    »Als ich herkam, warst du nicht an der Ecke.«
    »Trotzdem gehört sie mir.«
    Ebenezer schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Hältst dich wohl für einen ganz harten Typen, was? Ich kann dich jederzeit an der Gurgel hochheben und in zwei Hälften brechen.«
    Seine Jungs grinsten hämisch.
    Ebenezer wollte weitergehen, doch Tedamm versperrte ihm den Weg. »Verzieh dich von meiner Ecke, klar?«
    »Kannst ja mal probieren, mich wegzuscheuchen«, erwiderte Ebenezer.
    Tedamm und seine Jungs gafften ihn an, als er an ihnen vorbeiging. Ebenezer biss die Zähne zusammen. Jetzt hieß es Krieg. Er gegen Tedamm.
    Ebenezers Schlafstelle war die Vorderveranda der Prince Line Travel Agency in der Knutsford Avenue. Wenn abends die Geschäfte schlossen, kamen die Straßenkinder. Ebenezer teilte sich die Veranda mit vier guten Freunden. Sie mochten einander wie Brüder und hatten sich selbst die »Brooklyn Gang« getauft.
    Bei seiner Ankunft waren drei der anderen schon da. Ebenezer klatschte ihnen zur Begrüßung die Hände ab und setzte sich neben den kleinen Mawusi. Mawusi hörte Musik aus einem Radio, das nicht viel größer war als seine Hand. Für das Radio hatten sie alle zusammengelegt, und sie bewachten es mit ihrem Leben.
    Mosquito, der fünfte in der Gruppe, fehlte noch. Ebenezer fragte, wo er war. Issa, ein Karrenjunge und der offizielle Anführer ihrer Gruppe, wusste es nicht. Er war fast achtzehn, also beinahe schon ein »alter Mann«.
    Sie redeten und teilten sich eine kleine Schale Reis. Mehr hatten sie nicht, und sie achteten darauf, das Essen gerecht aufzuteilen. Keiner schummelte. Eine Portion ließen sie für Mosquito.
    »Ebenezer, du übernimmst die erste Wache«, sagte Issa.
    Es war jede Nacht das Gleiche: In drei Schichten bewachten sie sich gegenseitig bis zum Morgengrauen. Man konnte nicht einfach schlafen, ohne dass jemand aufpasste, denn genau so war Ebenezer seine erste Schuhputzausrüstung gestohlen worden.
    Die vier streckten sich auf dem nackten Boden aus. Mosquito würde sich seinen eigenen Platz suchen, wenn er kam. Ebenezer blieb eine Weile sitzen, um seine Füße auszuruhen, stand aber bald auf und begann, auf und ab zu gehen, damit er nicht einnickte. Er fragte sich, wo Mosquito steckte.
    Ebenezer musste mal. Er würde sich beeilen, auch wenn es unwahrscheinlich war, dass in den paar Minuten jemand kam und die schlafenden Jungen überfiel. Mit ein paar Streifen Zeitungspapier in der Tasche trottete Ebenezer ans Ende der Knutsford Avenue, wo sie ein Maschendrahtzaun von der Kojo Thompson Road trennte. An dem Zaun stand ein verbeulter Bola -Laster, ein Müllwagen, der seit über einem Jahr nicht bewegt worden war. Auf der Laderampe sammelte sich beständig mehr Unrat, den niemand mehr wegfuhr. Ebenezer schlich

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