Accra: Roman (German Edition)
dich nicht«, sagte Socrate ein wenig beschämt, »würde ich niemals in diesem Job bleiben. Denkst du vielleicht, mich kümmern diese wertlosen Kinder? Denkst du, mir macht es Spaß, in der Stadt herumzulaufen und sie zu fotografieren,als wären sie Filmstars? Das tue ich alles nur für dich , Gennie. Nur für dich.«
Wertlose Kinder. Die Worte trafen sie wie ein Peitschenhieb. Tränen traten ihr in die Augen.
»Gennie, bitte ...«
Er kam auf sie zu, doch sie hob die Hand, um ihn abzuwehren.
»Nein. Nein, bleib weg von mir. Bleib mir vom Leib!«
Socrate erstarrte.
»Dann ist es also wahr«, sagte Genevieve. »Es stimmt, was Inspector Dawson sagte. Du hast Antwi in die Vorratskammer gesperrt.«
»Der Junge ist ein widerlicher kleiner Lügner.«
»Und die Geschichte über die Quälereien stimmen dann wohl auch. O mein Gott!«
Sie stützte ihr Gesicht in die Hände.
»Also glaubst du Dawson eher als mir? Heißt das, du magst ihn lieber als mich?«
Genevieve war fassungslos. »Socra, in welcher Fantasiewelt lebst du? Hier geht es nicht um einen Wettstreit zwischen dir und Dawson. Es geht um das, was du getan hast. Du hast mein Vertrauen und das der Kinder missbraucht. Du hast sie misshandelt. Aber warum verachtest du sie so sehr?« Sie riss die Augen weit auf, als ihr ein schrecklicher Verdacht kam. »Diese vier ermordeten Straßenkinder ...« Mitten im Satz brach sie ab und holte Luft.
Socrate blickte zur Seite. »Ich habe sie nicht umgebracht.«
Minutenlang sagten sie beide nichts.
»Es tut mir leid, Socra«, flüsterte Genevieve schließlich.
Er nickte. »Ich weiß. Ich muss gehen.«
Er nahm seine Tasche, öffnete sie, um Genevieve zu zeigen, dass er SCOAR nicht bestahl, hängte sie sich über die Schulter und ging mit gesenktem Haupt hinaus.
46
Am nächsten Morgen wachte Socrate niedergeschlagen auf. Er hatte scheußliche Kopfschmerzen und keinen Appetit. Immer wieder sah er Genevieves enttäuschte Miene vor sich.
Er hockte in Unterwäsche auf der Bettkante, den Kopf gesenkt. Im Hintergrund lief das Radio, doch er hörte gar nicht richtig hin, bis ihn etwas aufmerken ließ. Es war die Ankündigung für Bola Rays Drive Time -Sendung am Abend. Detective Inspector Darko Dawson und Dr. Allen Botswe sollten in der Sendung über Serienmörder reden.
Wunderbar , dachte Socrate. Diese Meldung verlieh ihm neuen Schwung, und er sprang auf. Bis zum Abend hatte er eine Menge zu tun und ein paar technische Spielereien vorzubereiten. Hier war seine Genialität gefragt. Er brauchte ein Wegwerfhandy und einen Stimmverzerrer.
Dawson traf sich mit den Polizisten, die in der vergangenen Nacht Wache gehabt hatten. Viel konnten sie nicht berichten. Es hatte keine verdächtigen Fahrzeuge gegeben, und bei den schlafenden Straßenkindern war alles ruhig gewesen. Detective Constable Juliet Quaynor sprach allerdings einen interessanten Punkt an.
»Wenn Comfort Prostituierte war, sollten wir dann nicht auch den Nkrumah Circle oder den Danquah Circle observieren, wo viele der Ashawos auf Freier warten?«
»Die Idee ist gut«, sagte Dawson, »doch unser Mörder hat es nicht gezielt auf Ashawos abgesehen, wie wir glauben. Er nimmt Straßenkinder ins Visier. Auch die treiben sich an dengenannten Plätzen herum, doch wir haben nicht genug Leute, um mehr als das bisherige Gebiet abzudecken.«
Dennoch nahm Dawson sich nach der Besprechung vor, Quaynor künftig aufmerksamer zu beobachten, denn sie schien eine vielversprechende Polizistin zu sein.
Im lila-weißen, viergeschossigen Gebäude von Joy FM in Kokomlemle saß Dawson mit Bola Ray und Allen Botswe im Studio. Wie bei allen Radiosendern in Accra gab es keinen separaten Kontrollraum, sodass sich der Tontechniker mit im Studio befand, während Chikata und Carlos, der Tigo-Phone-Techniker, im Allzweckpausenraum nebenan saßen. Durch eine große Glasscheibe konnte man vom Studio aus in diesen Nebenraum sehen.
Nach der Anfangsmusik zog Bola Ray, ein rundgesichtiger Mann mit Designerbrille und einem breiten, freundlichen Lächeln, das Mikro näher zu sich heran und eröffnete die Sendung.
»Heute Abend erwartet uns eine besonders spannende Sendung. Dr. Allen Botswe, ein international bekannter Professor der hiesigen Universität und gefragter Kriminalpsychologe, ist hier, um mit uns über einen Serienmörder zu sprechen, der die Straßen von Accra unsicher macht. Die Presse hat ihn bereits den Latrinenkiller getauft, weil er eines seiner Opfer auf einer öffentlichen
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