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Achilles Verse

Achilles Verse

Titel: Achilles Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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müssten nach spätestens einer Stunde Hektoliter von Endorphinen ins Blut schießen, geile Opiate, eine Art körpereigener Wasserpfeife, die Krampf durch Freude ersetzt. Habe ich leider nicht. Eigentlich passiert bei mir nichts von dem, was in Büchern steht, außer Hunger und Müdigkeit. Wahrscheinlich alles Infarktsignale.
    »Hier steht, dass du einen Ermüdungsbruch kriegst«, kräht Frau Doktor Mona, »den kriegen alle, die zu viel trainieren.« Ich trainiere nicht zu viel, denke ich. »Männer über 40 sollten einmal im Jahr zur sportmedizinischen Untersuchung gehen«, sagt Ministerin Mona Schmidt. Unsinn, ich fühle mich kerngesund. Außerdem bin ich praktisch noch fast gar nicht richtig über 40. »Empfehlenswert ist Leistungsdiagnostik«, liest Mona Müller-Wohlfahrt, »mit Laktatmessung.«

    Laktatmessung? Das klingt allerdings verlockend. Laktat ist ja für die Muskeln, was Kalk für die Spülmaschine ist: Gift, Bremse, der Feind in meinem Bein. Vielleicht saugen sie bei der Untersuchung auch gleich Laktat ab. »Meine Laktatwerte sind übrigens ganz ordentlich«, könnte ich bei der nächsten Runde mit Klaus-Heinrich fallen lassen, bevor ich ins Unterholz abbiege. Dann hätte er was zum Ärgern, während er auf mich wartet.
    Während ich den Münster-Tatort gucke, googelt Mona nach Laktat-Orten. »Du musst in die Charité«, sagt sie schließlich, »das sind die Besten. Der Doktor dort ist Marathon in 2 Stunden 19 Minuten gelaufen.« Will ich so einen Doktor? Muss man überhaupt alles wissen? Und was ist, wenn er wirklich was findet? Chronische Trainingsfaulheit zum Beispiel? Oder Laktat voller Hefeweizen? Oder ein Lungenvolumen, das nicht reicht, die Pelle eines Wiener Würstchens aufzupusten? »Dann weißt du endlich, wie gut du wirklich bist«, sagt Mona. Genau das ist das Problem. Eine Welt aus sorgsam erdachten Mythen, aus mühsam zusammengebastelten Erklärungen gerät ins Wanken – meine Welt.

Tut’s weh?
    Laufen soll ja Spaß machen und entspannen. So weit die Theorie. In der Praxis geht es brutaler zu. Wer länger läuft, hat ein Zipperlein. Oder mehrere. Wer anfängt zu laufen, erst recht. Wer ehrlich ist, wird feststellen, dass beim Laufen immer etwas wehtut. Läufer sind Meister der Selbstbespiegelung. Sie horchen genau in ihren Körper, wenn sie nach Erklärungen für schlechte Leistungen suchen. Aber auch das Gegenteil gilt. Wer mitten im Training für den ersten Marathon steckt, der überhört jedes Warnsignal. Endorphine können ihren Teil beitragen, weil sie tatsächlich ein wenig gegen Schmerzen immunisieren.
Die Kunst besteht darin, herauszufinden, was wirklich eine Verletzung sein könnte. Jeder Schmerz, der erstmals auftritt, ist ein Warnsignal. Ziehen in den Beinen dagegen ist normal, auch Verspannungen im Schultergürtel sind nicht ungewöhnlich und verschwinden oft sogar durchs Laufen. Auch wenn Ferndiagnosen riskant sind, so kann doch gelten: Ungewohnte Schmerzen an der Achilles-Sehne, an Knie und Hüfte sowie anhaltender Druck oder Stechen im Brustkorb sollten ernst genommen werden. Alles, was nach 48 Stunden verschwunden ist und nicht wiederkehrt, war wohl nicht schlimm – oder leider tödlich.

Anfänger können Laktat nicht von Spagat unterscheiden, Kenner wissen es schon längst: Gute Werte sind viel wert. Kliniken bieten inzwischen Feintuning an. Der moderne Läufer eilt zur Generalüberholung. Das Show-Laufen auf dem Band gehört dazu.

    Heute ist der Tag der Wahrheit. Showdown. Keine Ausreden. Leistungsdiagnostik mit Laktatmessung. Mann oder Maus. Ich habe Angst vor der Wahrheit. Deswegen bin ich entgegen meines gewohnten blutdruckbedingten Tiefschlafs, der sonst bis zum frühen Mittag reichen kann, heute schon um halb sechs aufgewacht. Mona sägt süß vor sich hin. Manchmal stößt sie kleine Grunzer aus, so als freue sie sich insgeheim über mein Schicksal. Sie will, dass ich Werte habe wie Al Bundy. Damit sie sagen kann: »So fit werde ich mit Xco auch.«
    Ich werde den Test absagen. Irgendwas im hinteren oberen Knie ist nicht okay: ein Aduktorenanriss vielleicht. Außerdem spüre ich einen Druck auf dem Brustkorb. Man solle auf gar keinen Fall zum Test kommen, wenn man sich nicht fit fühle, hatten sie in der Charité gesagt. Ich fühle mich nicht fit. Aber Mona will, dass ich mich checken lasse; die Pumpe. Schon gut, schon gut: Ich geh ja schon.
    Unter »Charité« stellt man sich ein ehrwürdiges backsteinernes
Gebäude vor, mit Efeu draußen und modernster

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