Achilles Verse
sich sein Hobby nett zu machen, dann fallen etwa 100 Euro für einen leistungsdiagnostischen Test nicht wirklich ins Gewicht. Die Kurve, die der Arzt anfertigt, bringen dem Läufer allemal mehr als das siebte Paar Hochtechnologie-Schlappen. Denn der Test auf dem Laufband hat für Anfänger wie für Fortgeschrittene einen entscheidenden Vorteil: Er ist unbestechlich. Deswegen müssen Profis regelmäßig zum Show-Laufen. Hier wird die Form überprüft, ohne Ausreden, schonungslos ehrlich. Was man vom Hobby-Läufer nicht unbedingt sagen kann. Fast jeder hat sich über die Jahre ja ein komplexes Gewirr von Mythen zurechtgelegt, warum er eigentlich viel schneller und länger laufen könnte. Wer die mentale Kraft auf bringt, sich die Wahrheit anzuhören, erfährt zum Beispiel Wissenswertes über seine Sauerstoffaufnahmekapazität und mögliche Bestleistungen. Ein Fachgespräch mit dem Sportmediziner kann das eigene Training deutlich effektiver gestalten. Am wichtigsten aber, für Herrschaften um die 50, die sich und der Welt unbedingt noch etwas beweisen wollen: Ein Test kann Hinweise auf verborgene Herz-Kreislauf-Probleme liefern. Und einen elenden Infarkt mitten im Wald verhindern helfen.
Achtung Dehydrierung. Gefahr, Alarm. Trinken, Trinken, Trinken. Manche übertreiben die Flüssigkeitszufuhr. Eine Wasserstandsmeldung.
Mein Vater hat immer gesagt, dass zu viel Flüssigkeit ungesund ist. »Trink nicht immer, dann schwitzt du auch nicht«, lautete eine seiner ewigen Weisheiten. Trinken war ein Zeichen von Schwäche. Und Urin nur dann gut, wenn er richtig goldgelb schimmerte. Meine Mutter stellte jedes Jahr bei der Urlaubsfahrt gen Italien einsame Rekorde in punkto Harnverhalten auf. Sie traute sich nicht zu sagen, dass sie gern auf dem nächsten Parkplatz halten würde, um nur mal eben ganz schnell, ganz kurz auszutreten. Sie fürchtete das gestöhnte »Schon wieder!« des pilotierenden Familienoberhauptes, der einer festen Marschtabelle folgte, über Jahre hinweg auf Staufreiheit hin optimiert. Der Urlaub galt nur dann als wirklich gelungen, wenn wir exakt in dem von ihm ausgerechneten Idealslot zwischen 18.30 und 19 Uhr den Brenner passierten.
Mona ist eine moderne Frau. Wenn wir nach Italien fahren, hat sie drei Flaschen Evian im Fußraum. Vorwärtsverteidigung für den Bikinikrieg am Strand. Claudia Schiffer und Naomi Campbell versichern jeder Frauenzeitschrift, dass das einzige Geheimnis ihrer Schönheit darin bestehe, mindestens drei Liter Wasser
zu trinken, am Tag. Völlig automatisch hebt Mona jede Minute einmal eine Flasche, schraubt den Deckel ab, nippt, verschraubt, stellt ab, hebt an, schraubt auf, nippt, schraubt zu. Ritualverhalten – wie die zerzauste Löwin, die lange Jahre in einem engen Zoogehege zugebracht hat.
Mona lässt keinen Parkplatz aus. Deswegen brauchen wir heute auch genauso lange nach Italien wie vor 35 Jahren. Kennzeichen unserer Zivilisation ist nicht Tempo und Technik, sondern Flüssigkeitsumsatz. »Dehydrieren ist lebensgefährlich«, warnt Mona. Kommt auf der Liste der postmodernen Lebensrisiken gleich nach Gefrierbrand und VPL (die Abkürzung steht für »Visible Panty Line«; jenen sichtbaren Eindruck, den schlecht geschnittene Unterwäsche in mäßig trainiertem Bindegewebe erzeugt). Also trägt jede Frau heute in Handtasche, Rucksack oder gleich in der Hand eine Flasche Wasser spazieren, wegen der Schönheit. Im Ernst: Drei Liter trinken, das geht nur mit Bier. Dann kann ich aber nicht mehr laufen.
Gefährde ich Menschenleben, weil ich finde, dass man nicht nur Autofahren, sondern sogar einen 90-Minuten-Lauf bei mitteleuropäischem Klima ohne Flüssigkeitszufuhr bewältigen kann? »Du musst was trinken«, ermahnt mich Mona. Früher haben wir ganze Nachmittage im Hochsommer völlig ausgetrocknet gekickt und hingen bestenfalls mal am Wasserhahn vom Gewächshaus, bis uns der Gärtner weggejagt hat. Offenbar habe ich jahrelang mit meinem Leben gespielt.
Ich sage zu Mona, sie soll mal einem Massai erklären, der jeden Tag zwei Stunden bei mörderischen Temperaturen zu einem verschlammten Wasserloch marschiert und mit einem vollen Krug auf dem Kopf zwei Stunden zurück, warum er des Todes ist, wenn er nicht drei Liter französischen Alpenquellwassers konsumiert oder bunte Iso-Brause für drei Euro den Liter. Er würde lächeln, federnd davonlaufen und dabei noch besser aussehen als Naomi. »Das ist was anderes«, sagt Mona.
Kein Hausfrauenproblem ist gaga genug, als dass es
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