Acht cropped
an ihrem neuen Job als Chaos-Beseitigerin. Normalerweise betrat sie sein Reich auch nicht, aber jetzt lagen die Dinge anders.
Am Sonntag war ihr Vorhaben, einen romantischen Abend zusammen zu verbringen, tatsächlich gelungen. Endlich, nach einer für sie als endlos empfundenen Zeit, waren sie nach dem Essen übereinander hergefallen. Leidenschaftlich hatten sie sich geküsst und geliebt und irgendwie den Ehrgeiz entwickelt, es an so vielen Orten wie nur irgend möglich zu treiben. Tom war bei den Großeltern, also stand ihrem Plan nichts im Wege. So zogen sie von Zimmer zu Zimmer, gaben sich ihrer Lust hin und landeten schließlich in Andreas Arbeitszimmer.
Dumm gelaufen, im wahrsten Sinne des Wortes, denn prompt stieß Sonja beim Liebesspiel eine Flasche mit Kirschsaft um, die natürlich von Andreas vorher nicht verschlossen worden war. Typisch Mann. Der rote Saft ergoss sich über Metallbüchsen, selbstgebastelte Feuerwehrautos und verfärbte den letzten Rest vom hellbraunen Teppich, den man noch durch das Gerümpel hindurch sehen konnte.
Entsetzt hatte sie Andreas angesehen und Angst gehabt, er würde wieder jähzornig und wütend werden wie so oft in letzter Zeit. Doch er hatte nur gelacht und gesagt: »Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche .« Sie hatte ihm versprochen, die Kirschsaftflecken am nächsten dienstfreien Tag zu entfernen, und sie hatten ihr leidenschaftliches Liebesspiel fortgesetzt, nun allerdings im Schlafzimmer.
Sie stellte den Putzeimer auf ein Bücherregal und versuchte, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wo sie mit dem Putzen anfangen sollte. Zudem wollte sie Andreas· eigenkreativ geschaffenes Kunstwerk nicht komplett zerstören, sodass zumindest er selbst hinterher noch die Dinge wiederfinden konnte, die er vorher in mühevollster, jahrelanger Arbeit im Chaos vergraben hatte. Nein, sie würde nur die dem Kirschsaftmassaker zum Opfer gefallenen Sachen abwischen, den Teppich säubern und sich dann schnellstmöglich zurück ins Wohnzimmer flüchten.
Ihr Blick fiel auf den Mülleimer neben dem Schreibtisch. »Hmm, den Papiermüll könnte ich allerdings dann doch mit runternehmen. Morgen kommt die Müllabfuhr«, sagte sie zu sich selbst, als der Inhalt ihre Aufmerksamkeit erregte.
Sie entnahm dem brauen Eimer eine Tageszeitung vom letzten Wochenende. Doch nicht der Inhalt oder die Fotos hatten ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Mit offenem Mund stellte sie fest, dass Andreas Buchstaben aus den fett gedruckten Schlagzeilen geschnitten hatte, und zwar in mühevollster Kleinarbeit.
Warum tut ein erwachsener Mann so etwas ?, ging es ihr durch den Kopf. Auch sie hatte mit Tom im ersten Schuljahr Buchstaben aus der Zeitung geschnitten, als ihr Sohn in der Schule gelernt hatte, die Buchstaben zu schreiben und in gedruckter Form wiederzuerkennen. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass Andreas in den letzten drei Tagen ähnliche Absichten gehabt hatte. Tom war schließlich im dritten Schuljahr.
Sie kannte so ein Verhalten nur aus Erpressergeschichten.
Ihr Mann wurde ihr immer mehr zum Rätsel.
Marc hatte sich sehr auf den Nachmittag gefreut. Als Daniel ihm gestern per Handy mitgeteilt hatte, er beabsichtige, sich morgen frei zunehmen und zu ihm zukommen, damit sie nachmittags nach der Schule einen langen Spaziergang an der nahen Talsperre machen könnten, war er begeistert gewesen.
Daniel war sowohl am Telefon als auch bei der Begrüßung vor zwanzig Minuten, als er ihn in den Arm genommen hatte, sehr distanziert gewesen, aber Marc war so ausgeglichen und in Hochstimmung, seitdem er sich mit Andreas geeinigt hatte, dass jedes Problem für ihn zu meistern war. Er beschloss, Daniel aus der Reserve zu locken und ihm den Glanz in den Augen zurückzuholen, was auch immer ihm die Laune verdorben hatte. Vielleicht hatte er Ärger bei der Arbeit, oder er hatte sich wie so oft mit seinem Bruder gestritten. Auf jeden Fall wollte er dafür sorgen, dass es ihm besser ging. Schließlich war er sich bewusst, dass Daniel ihm in den letzten Wochen immer wieder die Schulter zum Anlehnen geboten hatte, die er so sehr brauchte, egal was auch passiert war.
Als sie auf dem einsamen Feldweg zwischen Hauptstraße und Talsperre entlanggingen, blieb Daniel plötzlich stehen, sah ihn an und sagte mit bebender Stimme: „Marc, ich möchte dir jetzt etwas mitteilen und würde dich bitten, mich nicht zu unterbrechen. Es ist für mich sehr wichtig und für unsere Beziehung sogar
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