Achtmal kam der Tod Kommissar Morry
nordöstliche Richtung ein. Sein Ziel war das Stadtviertel Islington. In einer grauen Straße hinter dem Fever Hospital hielt er den Wagen an. Suchend blickte er sich um. Auf einem alten, verwitterten Blechschild las er die abgebröckelten Worte „Zur ewigen Liebe!“ Hier war es also. Das Lokal machte schon von außen einen verdammt schäbigen Eindruck. Die Parterrefenster waren vergittert, als würden sie zu einem Gefängnis gehören. Die Mauersteine waren vom Regen ausgewaschen und drohten jeden Moment einzustürzen. Durch die Fenster drang brüllendes Gelächter. Ein paar betrunkene Frauenzimmer kreischten dazwischen.
„Na, das kann ja heiter werden“, .murmelte Leslie Carron mißvergnügt .„Dieses Mädchen scheint ein faules Ei zu sein. Am besten würde ich wohl gleich wieder umkehren.“
Aber dann trat er doch in die miese Spelunke ein. Sie war geräumiger, als er gedacht hatte. Der Raum war lang wie eine Kegelbahn und etwa viermal so breit. An den blankgescheuerten Holztischen lümmelten Ganoven übelster Sorte herum. Vom Abstauber bis zum Zuhälter war alles vertreten. Die Mädchen gehörten alle zum schrägen Gewerbe, das sah man auf den ersten Blick. Leslie Carron schaute sich suchend um. Er entdeckte ein schiefes Tischchen in der Nähe des Musikautomaten. Obwohl ihm das laute Geplärre des bunten Kastens schrecklich auf die Nerven fiel, nahm er an dem Tisch Platz und hielt Ausschau nach Violet Alvey.
„Bitte, mein Herr! Was wünschen Sie zu trinken?“
Leslie Carron hob überrascht den Kopf. Vor ihm stand ein hübsches, junges Mädchen mit braunen Locken und haselnußfarbenen Augen. Sie blickte hell und fröhlich durch die grauen Rauchschleier, die schwer in der dampfigen Stube hingen. Alles an ihr war frisch und sauber. Sie wirkte rein und unverdorben.
„Sind Sie Miß Alvey?“, fragte Leslie Carron, und er ärgerte sich, weil er über und über rot wurde.
„Ja“, sagte das Mädchen erstaunt. „Wollen Sie mich privat sprechen?“
„Ich hörte, daß Sie Laborantin sind, Miß Alvey. Mein Name ist Leslie Carron. Ich arbeite an Raketentriebsätzen. Hätten Sie nicht Luft, mich in meinen Forschungen zu unterstützen?“
Violet Alvey blickte ihn prüfend an. „Sie sind also Mr. Carron“, sagte sie gedehnt. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Erst heute las ich Ihren Namen wieder in den Zeitungen.“
Schon wieder schoß Leslie Carron eine heiße Blutwelle ins Gesicht.
„Na und?“, fragte er hastig. „Sie glauben den Zeitungen, wie? Sie wollen nichts mit einem Mann :zu tun haben, der . . . der in so schlechtem Ansehen steht?“
Violet Alvey schüttelte den Kopf. „Ich verlasse mich immer auf meine eigene Menschenkenntnis“, sagte sie. „Sie hat mich nur selten (betrogen.“
„Was halten Sie also von mir?“, fragte Leslie Carron mit mühsamem Lächeln. „Welchen Eindruck haben Sie?“
„Den besten“, sagte Violet Alvey verlegen. Sie war plötzlich so verwirrt, daß sie sich abwandte. „Entschuldigen Sie mich einen Moment, Sir“, rief sie über die Schulter zurück. „Ich komme gleich wieder.“
Sie trug ein paar Gläser hin und her, verteilte Zigaretten und kassierte ein paar Gäste ab. Dann stand sie wieder am Tisch.
„Ich nehme Ihr Angebot dankend an, Mr. Carron“, sagte sie rasch atmend. „Es soll mir nur recht sein, wenn ich aus dieser Schenke wegkomme. Wann darf ich bei Ihnen anfangen?“
„Morgen schon, wenn Sie wollen“, sagte Leslie Carron erfreut.
„Ich glaube, daß wir uns gut vertragen werden. Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit also.“ Er hob sein Glas und trank ihr zu. Dabei blickte er ihr so lange und so tief in die Augen, bis sie sich hastig abwandte und verwirrt davon eilte.
Nach zwanzig Minuten kam sie wieder. Sie hatte die weiße Servierschürze abgelegt und trug nun ein flottes Winterkostüm und eine reizende Pelzkappe.
„Es ging schmerzloser als ich gedacht habe", sagte sie fröhlich. „Ich darf jetzt schon gehen. Wir sehen uns also morgen früh um acht Uhr, Mr. Carron. Auf Wiedersehen!“
„Bleiben Sie noch ein halbes Stündchen“, sagte Leslie Carron bittend. „Wir wollen noch ein Gläschen zusammen trinken. Darf ich für Sie bestellen?“ Violet Alvey nahm nur widerstrebend an. „Es reicht eigentlich schon, daß ich hier Bedienung war“, sagte sie rasch. „Als Gast möchte ich hier beileibe nicht heimisch werden. Seihen Sie sich doch einmal um, Mr. Carron! Über jeden Mann und über jede Frau, die Sie hier sitzen sehen,
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