Achtung BABY!
der Autor nun den Rat von Marcel Reif befolgt oder nicht? Ich stand da im Kreißsaal mit einer großen Schere und der sich widerstrebenden Nabelschnur, und in dem Moment, in dem ich sie durchschnitt, dachte ich nicht: »Ein neues Leben beginnt«, sondern ich sagte laut den Satz: »Marcel, die ist für dich – schnipp!« So einfach ging es natürlich nicht. Schneid mal auf Glückshormonen einen Gartenschlauch durch!
So wäre es schön gewesen, in jeder Geschichte ein guter Running Gag, aber in der Realität war es dann doch ganz anders. Im Adrenalinrausch denkt man nicht an die Vergangenheit. Es gibt nur noch Gegenwart. Gudrun sagte später: »Eine Geburt ist der authentischste Moment im Leben. So nah kommt man nie wieder an seine Essenz.«
Sie hat recht, ich kann mich dem nur anschließen. Erst kam Lillys kleines Köpfchen, und dann plötzlich war sie da. Ein kompletter Mensch. Ich werde diesen Moment nie wieder vergessen. Wir erlebten das Wunder dieser Welt. Seit Jahrtausenden passiert es. Alle Menschen werden so geboren. Unsere Mütter und Väter haben das erlebt. Ein neues Wesen sagt »hallo«, und du weißt in dem Moment, du würdest dafür sterben, und du würdest bis ansEnde des Universums gehen, damit es glücklich wird. Wir waren überwältigt. Die Hebamme und die Ärztin verließen den Raum, und wir drei durften eine halbe Stunde für uns sein. 30 Minuten kamen uns vor wie ein ganzer Tag. Wir lernten unsere Tochter kennen, und wir hatten das Gefühl, sie fühlt sich wohl bei uns. Sie gehört hierher. Sie hat meinen Finger festgehalten. Und wir sie. Mein Bild für die Ewigkeit ist, wie die kleine Lilly friedlich zum ersten Mal in den Armen von Gudrun schlief. Die Sonne ging auf …
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Heimkommen
Jetzt war der ambulante Action-Mann gefragt. Etwa fünf Stunden nach der Geburt haben wir unsere Sachen zusammengepackt und uns auf den Weg nach Hause gemacht.
»Hiiiiiiiilfe!«
In mir tönte ein verzweifelter Ruf. Ich fühlte mich wie in Filmen, wo Menschen gezwungen sind, eine gefährliche Landesgrenze zu überqueren, die vom Militär bewacht wird, und nun kommt die Stunde der Wahrheit. Die Chancen stehen höchstens 20 zu 80, aber es gibt keinen anderen Weg. Ich war wie Vin Diesel in »Babylon A. D.« der verantwortliche Schleuser, der sein menschliches »Paket« sicher an sein Ziel bringen muss.
»Schatz, ich werde euch sicher nach Hause bringen.«
Ich persönlich hätte mir in dem Moment nicht so ganz geglaubt, aber anscheinend strahlte ich noch eine gewisse Restzuversicht aus. Beziehungsweise Gudrun war nach der Geburt so geschwächt, ich hätte ihr wohl auch erzählen können, wir werden von der GSG 9 mit dem Hubschrauber abgeholt und sicher in unser Wohnviertel gebracht. »Klar, Michl, wenn die Zeit und Lust haben.«
Aber es war auch ein Moment, den ich nie vergessen werde. Wir waren als Paar in die Klinik gekommen und verließen sie als Familie. Unfassbar positive Energie durchflutete uns auf unserem Gang nach draußen. Das Glück eben gewordener Eltern verleiht Flügel und weist den richtigen Weg. Erst mal in die Tiefgarage zum Auto. So, nun kam die Stunde der Wahrheit: das erste Maldie Maxi-Cosi-Babyschale auf dem Rücksitz festmachen. Ich hatte es mir zwar schon von meinem Schwager zeigen lassen, aber das war drei Wochen her, es kam mir vor wie in einem anderen Leben. Alle Informationen, die ich nicht unmittelbar für die Geburt gebraucht hatte, waren anscheinend gelöscht worden. Und nun stand ich da, ich, der große Handwerker, und nestelte am Gurt, um den Maxi Cosi zu befestigen. Ich hätte niemals jemanden zu Hilfe gerufen. Das macht Papa alleine! Nach dem zweiten Versuch fragte ich vorsichtig: »Gudrun, vielleicht wollt ihr ja doch noch einen Cappuccino trinken gehen in der Cafeteria?«
Aber sie blickte mich an und sagte vertrauensvoll: »Michl, ruhig. Du schaffst das schon, Papa.«
Danke für das Vertrauen. Und wie von Geisterhand beflügelt, war dann der dritte Versuch erfolgreich. Der Wagenführer blies ins Horn: »Alle festgeschnallt, es geht nach Hause!«
Der Auszug aus der Klinik begann. Mit gefühltem Vollgas führte ich den Treck in Richtung gelobtes Heim. Dramatische Musik setzte ein, das Orchester untermalte den Aufbruch der Gefährten in Richtung Minas Tirit. Epische Bilder zeigten die Reise durch Raum und Zeit. Gut, die Realität sah etwas anders aus. Ich fuhr wohl wie ein 86-jähriger alter Mann mit Hut und Wackeldackel, so langsam und vorsichtig, dass Gudrun vorschlug:
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