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Achtung BABY!

Titel: Achtung BABY! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Mittermeier
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ausgesteckt und die Handys auf lautlos geschaltet. Abends lagen wir oft im Bett und sprachen mit Lilly. Das hatte schon etwas Surreales, dass man so auf einen Bauch einredete mit Worten wie: »Bitte komm bald raus. Wir würden dich gerne kennenlernen. Es ist alles vorbereitet, und wir haben sogar schon eine Wärmelampe aufgehängt.«
    »Auch wenn sie etwas hoch hängt.«
    »Michl!«
    Es gibt ein Sprichwort zur Geburt: »Mädchen brauchen oft ein bisschen länger, weil sie sich noch hübsch machen müssen.« Aber wie stelle ich mir das in der Realität vor? So eine Embryo-Frau antwortet auf die Lockungsversuche ihrer werdenden Eltern mit dem Standardsatz der weiblichen Zunft:
    »Ich kann nicht raus, weil ich nichts anzuziehen hab.«
    »Probier es doch mal mit dem Käseschmiere-Outfit.«
    Und was machen die Embryos dann, um sich schön zu machen? Wenn Babys rauskommen, schauen sie nie so aus, als ob sie gerade noch eine Behandlung im »Placenta Beauty Studio« gekriegt hätten. In der Klinik wollten sie nicht, dass wir unsere Erwartungen zu hoch steckten, und sagten: »Nicht jedes Kind sieht ideal aus!«
    »Was ist nicht ideal? Wie ein Engländer, der drei Wochen ohne Sonnencreme auf Mallorca war?«
    Der 27. Dezember wäre für uns ideal gewesen – aber der Tag war nicht entscheidend: Wir hätten uns gefreut, wenn Lilly überhaupt mal auf eine Geburt vorbeigeschaut hätte.
    Wenn ein Baby mehr als eine Woche überfällig ist, muss man täglich zum Check in die Geburtsklinik. Da hing dann meine Frau am CTG, dem Herzton- und Wehenschreiber. Viel zu schreiben hatte der Wehenschreiber aber nicht, außer ein paar Vorwehen, die leicht vorbeiwehten, war da nichts. Aber plötzlich ertönte ein ganz anderer Soundtrack aus dem Nebenzimmer. Da wir uns in einem Zimmer der Geburtsabteilung befanden, waren wir von Kreißsälen umzingelt, in denen entbunden wurde. Gudrun lag auf der Liege, ich saß neben ihr, und plötzlich zerrissen Schreie die Stille: »Aaaaaaaaah aaah aaaaaaah!«
    Wir konnten es nicht richtig orten und einschätzen. Es hörte sich an wie Todesschreie. Vielleicht hatte einer den Fernseher zu laut eingestellt, und da lief »Das Todescamp der Verdammten«? Die Hauptdarstellerin hatte wohl nicht mehr lange vor sich. Wir riefen die Beleghebamme und fragten, was da los sei, und sie sagte, dass im Nebenzimmer gerade ein Kind geboren wurde. Danke für die Information. Wir bekamen Angst, vor allem natürlich meine Frau. Gudrun sagte hoffnungslos: »Gibt es ein Zurück?«
    Was passierte da bei der Geburt? Die Schreie wurden immer intensiver und heftiger. Die Eso-Hebamme hatte uns damals beim MSDS noch erzählt, wenn Frauen Wehen bekämen, klinge das ein bisschen wie Walgesänge. Das hier waren aber keine entspannten Wale auf Planktonjagd. So musste sich das wirklich anhören, wenn japanische Walfänger ihre Arbeit im Dienste der Wissenschaft verrichten: »Aaaaaaaaah aaah aaaaaaah!«
    Habt ihr schon mal einen Löwen in freier Wildbahn brüllen hören? Das war bis dahin das Lauteste, was ich je auf Gottes Erden von einem Lebewesen gehört habe. Wir saßen mal in Tansania in einem Safari-Jeep und hörten, wie ein Löwe neben uns sein Revier akustisch absteckte. Uns klappten die Ohren nach hinten weg, da gehst du echt einen Tag am Wasser und willst nachher nur noch Antilopen streicheln. Diese Erinnerung schien uns nur wie ein kleiner hörbarer Schatten von dem, was aus dem Nebenzimmer zu uns drang. Und da war ja sogar noch eine Wand dazwischen. Tagelang saßen wir immer für zwei Stunden in der Klinik und konnten unsere nahe Zukunft hören. Das ist auch der Moment, in dem man anfängt, über eine Vollnarkose nachzudenken. Wenn das wirklich so schlimme Schmerzen sind? Aber die Natur hat das gut eingerichtet, dass Frauen die Kinder bekommen. Wenn Männer die Kinder bekämen, würden sie sich wahrscheinlich ab dem Tag der Kenntnisnahme der Schwangerschaft krankschreiben lassen. Bei vollem Lohnausgleich. Ab der 20. Schwangerschaftswoche würden sich dann die Burschen eine PDA legen lassen. Mit einem Dauerkatheter bis zur Geburt. Oder gleich in ein künstliches Koma versetzen lassen. Nach einpaar Monaten aufwachen und bloß noch feststellen: »Und? Ist es da?«
    Und wieder taucht das Zauberwort PDA auf. Ein Tipp, das ist keine neue amerikanische Krimiserie wie »L. A. PDA – Los Angeles Police Department A«. Ich kann auch verraten, dass es kein Tauchverband ist.
    »Aaaaaaaaah aaah aaaaaaah!«
    Die Schreie der Geknechteten drangen

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