Achtung BABY!
wieder zu uns herüber. Nach drei Tagen wich die Angst einer Art Galgenhumor. Wir konnten mittlerweile die verschiedenen Schreitypen voneinander unterscheiden:
1. Christliches Leiden
2. Ehrliches Sauersein
3. Herr der Ringe Teil III, Entscheidungsschlacht
Nach etwa zehn akustischen Geburten konnten wir schon prognostizieren: »In einer halben Stunde ist die durch.«
»Nein, nie.«
»Doch, hörst du nicht die Höhen am Ende der Schreie?«
»Ich wette eine Kiste Champagner dagegen.«
Gudrun machte dann den Vorschlag: »Wir könnten uns jetzt bei ›Wetten Dass‹ bewerben: Wetten, dass wir es schaffen, die verschiedenen Schreiarten von zehn Geburten den diversen Geburtsphasen zuzuordnen.«
»Das könnte aber daran scheitern, dass die das nicht schaffen, gleichzeitig zehn gebärende Frauen ins Fernsehstudio zu bringen.«
»Hey, das wäre dann doch eine gute Saalwette!«
Der Humor diente uns zur Entspannung der Situation. Wir führten so manche surreale Unterhaltung. Und einmal, ich weiß gar nicht bei welchem Thema wir waren, sagte Gudrun zu mir: »Michl, du bist ja ein Kaiserschnittkind.«
»Ja, und?«
»Ja, und bei einem Kaiserschnittkind, da weiß man ja …«
»Was?«
»Die haben Schwierigkeiten mit emotionalen Bindungen.«
»Hä?«
Ich dachte mir, fang jetzt bloß keine Beziehungsdiskussion mit einer fast zwei Wochen überfälligen Schwangeren an. Einen schlechteren Zeitpunkt kann man nicht wählen. Das wäre, als ob man die Braut bei der Hochzeit am Altar fragen würde, ob man als Verheirateter auch noch andere Brüste anfassen dürfe. Schwierig. Ich hatte mir noch nie darüber Gedanken gemacht, ob man als Kaiserschnittkind anders ist. Eine der Hebammen erklärte: »Ja, Kaiserschnittkinder brauchen gewöhnlich immer Action im Leben, das sind mehr so Danger-Seeker und Bungee-Jumper.«
»Ich habe Höhenangst.«
Dann fiel mir aber ein, dass ich 2005 trotz meiner Höhenangst in Kambodscha auf den höchsten Turm des Angkor-Wat-Tempels geklettert bin, obwohl das eine steile Stufentreppe ohne Geländer war. Es hat etwas gedauert, aber ich bin hoch. Ich habe es für Angelina Jolie getan! In »Tomb Raider I« ist die da wie nichts diese Tempelmauern hoch. Und ich dachte mir, wenn die mich mal anruft, kann ich auch nicht sagen, ich hätte Höhenangst.
Unsere Gedankenwelt während dieser Tage in der Klinik, zwischen dem Geburts-Dolby-Surround-Soundtrack und der eigenen Wehenlosigkeit, ging langsam in so eine Art Twilight-Zone über. Vorfreude und Angst wechselten sich ständig ab. Täglich fuhren wir wieder nach Hause, und da saßen wir wieder und sprachen mit Lilly im Bauch. Warten auf Wehen. Das neue Jahr kam immer näher. Wir haben alle natürlichen von Hebammen empfohlenen Wege versucht, um richtige Wehen auszulösen. Unsere Favoriten: Sex und ein halbes Glas Rotwein. Das Schlimme daran war, dass ich dann immer mitgesoffen habe. Weil ich nicht fahren musste, oder sollte ich besser sagen, nicht gebären musste. Das wäre auch so eine Frage beim Abendessen: »Wer gebiert heute?«
»Du Schatz, lass mich das machen, ich muss morgen eh aufstehen und nüchtern sein.«
Wir warteten und warteten auf Lilly wie kleine Kinder auf die Bescherung an Weihnachten. Wir waren so voller Vorfreude. Das Eigentlich-nicht-mehr-warten-Können ist ein flirrender Zustandund auch ein wunderschönes Gefühl. Man sieht sich noch den letzten Film zu zweit an (es war tatsächlich ein Weihnachtsfilm) … Früher, als wir noch Kinder waren, hieß es an Weihnachten immer, die Bescherung gibt es erst, wenn wir vorher noch auf der Blockflöte zusammen Weihnachtslieder spielen. Ich hätte es am 28. Dezember wirklich versucht, wenn ich meine alte Blockflöte noch gefunden hätte.
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Jetzt geht’s los!
Nach zwei Fehlalarmen am 29. und 30. Dezember, inklusive Übernachtung und Frühstück, fuhren wir am 31. Dezember wieder in die Klinik, und es war klar: Heute wird die Geburt eingeleitet. Nach zwölf Tagen war es an der Zeit. Gudrun kam mittags an den Wehentropf. Das sind keine bösen Medikamente, die da einer Frau zugeführt werden, sondern ein körpereigenes Enzym, eine Art Liebeshormon, aber in höherer Dosierung. Die Hebamme erklärte, das sei ein Stoff, der beim Menschen sonst in der Hirnanhangsdrüse produziert werde. Das kannte ich aus dem Film »Predator«, in dem ein Alien-Jäger auf die Erde kam und neben Menschenhäuten auch Hirnanhangsdrüsenstoffe sammelte. Hatte nicht auch Hannibal Lecter so was als Spezialität in
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