Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
gebührender Ausführlichkeit angehen. Der Schlüssel zum intuitiven Verständnis besteht in der Einsicht, dass es für den Spieler gute und schlechte Situationen gibt, d.h. günstige und ungünstige Kapitalstände, abhängig davon, ob das gewonnene Kapital
K n
durch 3 teilbar ist oder nicht. Wir haben uns schon überzeugt, dass die guten und schlechten Situationen nebst den zugehörigen Gewinnwahrscheinlichkeiten in Spiel 2, ohne die Defiziterzeugung durch Reduktion der Gewinnwahrscheinlichkeiten um c = 0,005, so filigran ausbalanciert sind, dass im langfristigen Mittel weder Verlust noch Gewinn zu erwarten sind. Dieses fein eingestellte Gleichgewicht wird zugunsten des Spielers verschoben, wenn immer mal wieder Spiel 1 ausgetragen wird. Und zwar wird das Gleichgewicht so verschoben, dass öfter als beim reinen Spiel 2 für den Spieler günstige Situationen auftreten, also nicht durch 3 teilbare Kapitalstände.
Warum ist das so?
Unmittelbar bevor jeweils Spiel 1 gespielt wird, sind zwei Fälle möglich.
Fall 1: Das Kapital
K n
ist durch 3 teilbar, etwa könnte das Kapital
K n
= 6 sein. Spiel 1 erhöht den Kapitalstand um 1 oder vermindertihn um 1. Nach Spiel 1 ist der Kapitalstand also jedenfalls nicht mehr durch 3 teilbar.
Fall 2: Das Kapital
K n
ist nicht durch 3 teilbar, zum Beispiel
K n
= 7 oder
K n
= 8. Nach Spiel 1 ist der neue Kapitalstand 6 bzw. 8 oder 7 bzw. 9. Und damit nur in 50 % der möglichen Ausgänge wiederum durch 3 teilbar. Die Zahl der Situationen, in denen das Kapital nicht durch 3 teilbar ist, erhöht sich dadurch und das aus den Spielen 1 und 2 kombinierte Spiel 3 wird günstiger für den Spieler.
Dieselbe Argumentation ist im Übrigen einsetzbar, wenn die beiden Spiele 1 und 2 nicht durch einen Zufallsmechanismus wie das Werfen einer Münze kombiniert werden, sondern alternierend, beginnend bei
K 0
= 0 mit Spiel 1. So haben wir es ja in unserer detaillierten Analyse von sechs Runden Spiel 3 auch bereits untersucht.
Um dieses Paradoxon noch aus einer anderen Perspektive zu beleuchten und besser zu verstehen, kann man das Bild einer mechanischen Rätsche bemühen. Rätschen sind Bauelemente mit schiefen Sägezähnen, die häufig Teil des Zahnräderwerkes von Armbanduhren sind und es der Uhr erlauben, sich durch Bewegung selbst aufzuziehen. Ein Schnapper, eine Art von Sperrklinke, greift dabei zwischen die Sägezähne in einer Weise, dass die Bewegung der Rätsche in nur eine Richtung möglich ist und in die andere Richtung blockiert wird. Parrondos Paradoxon ist ein Analogon einer pulsierenden Rätsche, wobei die Zähne periodisch ein- und ausklappen. Mal sind die Sägezähne präsent, mal sind sie es nicht. Mal ist das Profil stufig, mal ist es gerade und geneigt. In beiden Fällen, sowohl auf der schiefen Ebene als auch auf der Treppe, würde ein Tischtennisball abwärtsrollen. Doch bei periodischem Wechsel zwischen leicht schiefer Ebene und leicht geneigter Treppe wird der Tischtennisball langsam, aber stetig nach oben massiert.
Abbildung 36: Die sich abwechselnden Zustände einer mechanischen Rätsche
Spiel 1 ist vergleichbar mit der schiefen Ebene. Die leicht unbalancierte Münze produziert im Mittel einen kleinen, aber beständigen Verlustdrift, vergleichbar dem Abwärtsdrift, den eine Kugel auf einer geringfügig geneigten schiefen Ebene verspürt.
Spiel 2 ist vergleichbar mit dem Sägezahnanteil der Rätsche, der Objekte einzufangen vermag, hier die Kugel am Hinabrollen hindern, dort das Spielerkapital vor einer Verringerung bewahren kann. Jeder Zahn der Rätsche hat dabei zwei Anteile, eine ansteigende und eine abfallende Seite. Die beiden Münzen von Spiel 2 entsprechen diesen beiden Seiten eines jeden Sägezahns. Das ganze Parrondo-Münzspiel ist gewissermaßen die Übersetzung einer mechanischen Rätsche in die Spieltheorie.[ 18 ]
Die Nichtparadoxie von Parrondos Paradoxon
. Um tiefer und zum Kern des Paradoxen vorzustoßen, brauchen wir zusätzliche Erklärungskraft. Man kann die Parrondo-Struktur auch völlig ohne Beteiligung von Münzwürfen, also ohne jegliche Zufallseinflüsse, darstellen. In dieser Lesart verliert das Paradoxon einen Großteil seines Schockwertes. Dann ist es kein imponderables Inkommensurabulum mehr, eher ein unenormes Unparadoxon.
Um das Gemeinte präzise zu verarbeiten, führen wir zur Veranschaulichung ein Spiel A und ein Spiel B ein. In Spiel A verliertder Spieler stets 3 Euro, wenn sein gegenwärtiger Kapitalstand eine ungerade Zahl ist, bei
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