Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
geradem Kapitalstand gewinnt er 1 Euro. Spielt man eine Serie dieser «Spiele», so sieht die Folge der Kapitalstände so aus: 0, 1, –2, –1, –4, …. Der Spieler rutscht, übrigens von beliebigem Anfangskapital, früher oder später unaufhaltsam immer weiter in die Verlustzone. Im Mittel büßt er 1 Euro pro Runde ein.
Nun führen wir noch ein ebenso simples Spiel B ein. In diesem gewinnt der Spieler jeweils 1 Euro, wenn sein Kapitalstand ungerade ist. Ist dieser gerade, so verliert er 3 Euro. Auch hier entwickelt sich die Folge der Kontostände des Spielers in einer Serie von Spielen nicht zu dessen Zufriedenheit: 0, –3, –2, –5, –4, … ist der Anfangsabschnitt der Folge. Auch wenn Spiel B wiederholt gespielt wird, erleidet der Spieler von beliebigem Anfangskapital aus einen mittleren Verlust von 1 Euro pro Runde. Die Spiele A und B sind für den Spieler garantierte Verlustszenarien: Nur das eine oder nur das andere zu spielen ist gleichermaßen misslich. Zuträglich ist es aber, zwischen beiden abzuwechseln, denn der Turnus
Spiel A
,
Spiel B
,
Spiel A
,
Spiel B
, … erzeugt die erfreuliche Folge der lukrativen Kapitalstände 0, 1, 2, 3, … mit einem kalkulierbaren Gewinn von 1 Euro in jeder Runde.
Der Ablauf sei als Baum- und Flussdiagramm dargestellt:
Abbildung 37: Baumdiagramm des alternierenden Spiels
Abbildung 38: Flussdiagramm des alternierenden Spiels
Im Lichte dieser Konstellation und unserer Untersuchungen lehrt uns Parrondos Paradoxon nichts anderes, als dass es besser ist, die zwischen den Spielen alternierende Serie A, B, A, B, … zu spielen, als n-mal hintereinander zuerst Spiel A und dann n-mal Spiel B zu spielen.
Man sieht, die Reihenfolge macht einen Unterschied. Hier ist es der nicht unbedeutende Unterschied zwischen Totalverlust und Hauptgewinn.
Parrondos Paradoxon ist in dieser Sicht ganz und gar unparadox. Es ist einfach ein wunderbar ausgetüfteltes Beispiel, das den Blick frei macht dafür, welch großen Einfluss die Koppelung von Mechanismen haben kann und wie deren geeignete Verzahnung Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, die auf Unabhängigkeit der beteiligten Mechanismen basieren, über den Haufen zu werfen vermag. Diesen zum Verständnis des Paradoxons wichtigen Koppelungsaspekt wollen wir noch etwas pointierter herausstellen.
Zu diesem Zweck werden wir das letzte Spielgeschehen etwas abwandeln. Ändert man in Spiel A und Spiel B den Verlustbetrag von 3 Euro auf 1 Euro, so bleibt der Effekt noch in der Form in Kraft, dass nun zwei im Wechsel gespielte faire Spiele ein günstiges Gesamtspiel bilden. Hierfür gibt es ein räumliches Analogon: Angenommen, bei S 1 , S 2 , S 3 , … handelt es sich um eine Liste verschiedener Städte. Das Busunternehmen A-Tours bietet für eine Stadt S n die Fahrt nach S n+1 und zurück nach S n an, aber nur für jedes
gerade
n. Ebenso das Busunternehmen B-Tours, außer dassderen Angebot sich nur auf alle
ungeraden
n bezieht. Kauft man Tickets allein von A-Tours oder allein von B-Tours, kann man stets nur von der Stadt, in der man sich befindet, zur benachbarten Stadt und zurück fahren, immer und immer wieder nur dies. Man kommt nicht wirklich von der Stelle, nur hin und her, vor und zurück. Doch wenn man Tickets beider Unternehmen erwirbt und diese abwechselnd verwendet, kann man so weit fahren, wie man will.
Auch in dieser Darstellungsweise ist das Paradoxon alles andere als paradox, sondern eine ganz geheure Selbstverständlichkeit.
Bei weiterer Suche stellen sich viele Fallbeispiele aus den verschiedensten Gebieten für das Phänomen ein, dass zwei oder mehr zweifelsfreie Verlustsituationen sich zu einer Gewinnsituation kombinieren. In der Landwirtschaft etwa gibt es die Bauernweisheit, dass sowohl Spatzen als auch Insekten für sich alleine genommen eine ganze Ernte vernichten können. Doch in Jahren, in denen es viele Spatzen
und
viele Insekten gibt, wird meist eine gesunde Ernte eingefahren. Die unabhängigen Beziehungen zwischen Spatzen und Ernte sowie zwischen Insekten und Ernte werden durch die Dreiecksbeziehung Spatzen-Insekten-Ernte nachhaltig beeinflusst und in ihrer Wirkung auf die Ernte entscheidend verändert.
Oder man bedenke diese Beziehung ganz anderer Art: In einem Artikel der
New York Times
wird Dr. Derek Abbot zitiert, der in der Entwicklung der öffentlichen Meinung bei Präsident Clintons Monica-Lewinsky-Affäre ein Phänomen entdeckt zu haben meinte, das sich im Kontext des Parrondo-Paradoxons deuten
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