Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
erwartete Gewinn nach 6 Runden von Spiel 1 das mit ihren Wahrscheinlichkeiten gewichtete Mittel dieser sieben verschiedenen Gewinnmöglichkeiten von + 6 Euro bis – 6 Euro:
6 × 0,0147 + 4 × 0,0900 + 2 × 0,2297 + 0 × 0,03124 – 2 × 0,2390 – 4 × 0,0975 – 6 × 0,0166 = –0,06.
Der durchschnittliche Gewinn ist nach sechs Runden negativ, ganz so, wie wir es auch erwartet haben. Man büßt in diesen sechs Runden im Durchschnitt 6 Cent ein. Das ist nicht viel, schaukelt sich aber langfristig hoch.
Spiel 2 kann man ganz entsprechend untersuchen. Es ist genauso elementar, aber etwas aufwendiger in der Analyse. Die Wahrscheinlichkeit von sechsmal Gewinn ist
0,095 × 0,745 × 0,745 × 0,095 × 0,745 × 0,745 = 0,0028.
Es gibt 6 verschiedene Abfolgen, 4 Euro zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit hängt davon ab, wann der eine Verlust eintritt. Soll er im sechsten Spiel eintreten, ist die Wahrscheinlichkeit
0,095 × 0,745 × 0,745 × 0,095 × 0,745 × 0,255 = 0,0010.
Soll der Verlust an vorletzter Stelle auftreten, ergibt sich dafür die Wahrscheinlichkeit
0,095 × 0,745 × 0,745 × 0,095 × 0,255 × 0,095 = 0,0001.
Alles in allem sind für eine Analyse von Spiel 2 genau 64 verschiedene Abfolgen von Gewinnen und Verlusten zu bedenken. Um alle diese Abfolgen zu bewerten, müssten Sie Ihre Komfortzone wohl verlassen. Doch da es eine reine Fleißarbeit ist, die keine Raffinesse erfordert, erspare ich Ihnen das. Und setze selbst zum Sprung von der Quantität in die Qualität an. Wenn man diese 64 Wahrscheinlichkeiten allesamt ermittelt und mit ihnen abermals den erwarteten Gewinn errechnet, sehen Rechnung und Ergebnis so aus:
6 × 0,0028 + 4 × 0,0089 + 2 × 0,1407 + 0 × 0,5575 – 2 × 0,1921 – 4 × 0,0946 – 6 × 0,0035 = – 0,4498.
Auch dies ist wie vorhergesehen ein Verlustspiel, und zwar ein recht heftiges. Spielt man nur Spiel 1 oder nur Spiel 2, steht man irgendwann mit weniger als leeren Händen da.
Nun kommen wir zum etwas anspruchsvolleren Teil: Wie sieht es aus mit sechs Runden von Spiel 3, gespielt in der Abfolge 1, 2, 1, 2, 1, 2 der Spiele 1 und 2? Die Wahrscheinlichkeit für eine Folge von 6 Gewinnen ist
0,495 × 0,745 × 0,495 × 0,095 × 0,495 × 0,745 = 0,0064.
Um 4 Euro zu gewinnen, gibt es wiederum 6 verschiedene Möglichkeiten, deren Wahrscheinlichkeiten von der Position des Verlustes abhängen. Zum Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit für eine Serie von 5 Gewinnen, gefolgt von einem Verlust, gleich
0,495 × 0,745 × 0,495 × 0,095 × 0,495 × 0,255 = 0,0022.
Tritt der Verlust im fünften Spiel auf bei ansonsten allesamt Gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit dafür
0,495 × 0,745 × 0,495 × 0,095 × 0,505 × 0,095 = 0,0008.
Auch bei Spiel 3 gilt es wieder, 64 verschiedene Fälle zu bedenken. Doch keine Sorge, auch diese müssen Sie nicht alle auswerten. Hier ist der mittlere Gewinn direkt angegeben:
6 × 0,0064 + 4 × 0,0260 + 2 × 0,5393 + 0 × 0,2697 – 2 × 0,0627 – 4 × 0,0883 – 6 × 0,0076 = 0,6968.
Das ist ein Gewinnspiel. Noch dazu eines, das sich sehen lassen kann. Über je 6 Runden kann man im Mittel einen Gewinn von rund 70 Cent einheimsen. Gewinnrunden aufgrund der «guten» Münze von Spiel 2 bringen das Kapital des Spielers nach vorne, bergauf sozusagen, gegen einen stets bestehenden Drift in Richtung Verlustzone. Ein Wechsel zum anderen Spiel fängt dann die Gewinne ein und sichert ab gegen ein Abgleiten des Spielerkapitals, wie es Wiederholungen desselben Spiels fast unweigerlich herbeiführen würden. Parrondos Paradoxon ist ein rares Mirakel für das aus doppeltem Unglück erzeugte Glück.
Abbildung 35: «Was für ein Glück!» Cartoon von Theresa McCracken.
Der Effekt ist also nicht nur virtuell, sondern tritt in der Echtwelt auf. Und er verlangt in erheblichem Maße nach Erläuterung. Die erste Frage, die sich stellt, liegt auf der Hand: Wie ist es möglich, dass durch bequemes Mischen zweier Verlustspiele ein Gewinnspiel entsteht? Und umgekehrt.
Negativausbeute
Der Supermarktdieb Klaus S. erlitt 1998 einen hohen finanziellen Verlust bei einem an sich geglückten Überfall. Er legte einer Kassiererin einen 500-DM-Schein hin, worauf diese ihre Kasse öffnete. Der Dieb ergriff den Kasseninhalt und verschwand damit. Es handelte sich um 163,50 DM. Unglücklich für den Dieb: Seinen echten 500-DM-Köder überließ er der Kassiererin.
Ist das per definitionem noch ein klassischer Raub?
Dies zu verstehen ist unser Nahziel. Wir wollen es in
Weitere Kostenlose Bücher