Achtung Kurven
eigentlich?« fragte sie so leise, daß er ihre Worte mehr von ihren Lippen ablesen mußte, als daß er sie hörte.
»Mittendrin. Und das ist nicht besonders angenehm.«
Sie senkte den Blick. »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.«
»Ja, das wird wohl für uns beide das Beste sein.«
In einer kleinen Wirtschaft hinter dem Dom, in der er keinen Bekannten zu treffen hoffte, aß er eine Kleinigkeit und trank einen Schoppen Pfälzer. Er war fast stolz darauf, Frau Bauersfeld gegenüber deutlich geworden zu sein, aber er war deshalb noch lange nicht davon überzeugt, daß sie das Spiel nicht von neuem beginnen würde, wenn der Chef sich tatsächlich für ein paar Wochen ins Krankenhaus legte oder in ein Bad ging. Die Reue, dem Chef den Krempel aus Feigheit und aus Bequemlichkeit nicht beim ersten Wort vor die Füße geworfen zu haben, kam zu spät. Um eine neue Stellung brauchte er nicht zu bangen. Fraglich war nur, ob er sie rasch fand, denn zu seinen Prinzipien gehörte, nie das kleine Kapital anzugreifen, das er auf die hohe Kante gelegt hatte. Er besaß ein Sparkonto von rund elftausend Mark. Es war eine Menge Geld, aber um sich selbständig zu machen, war es ungefähr so viel, als hätte sich ein Mann für den Bau seines Hauses zwanzig Säcke Zement auf die Seite gelegt.
Er ließ sich von der Bedienung einen Briefbogen und einen Umschlag geben, entwarf eine kurze Anzeige und steckte den Brief noch am gleichen Abend in den Offertenkasten des »Stadtanzeigers«. Der Text lautete:
Versierter Fahrlehrer für alle Klassen, 30 Jahre alt, in ungekündigter Stellung, sucht neuen Wirkungskreis. Stadt bevorzugt.
Es war ein Versuchsballon, und vielleicht erriet Frau Bauersfeld, wer ihn hatte aufsteigen lassen. Wenn sie es erriet, dann wußte sie auch, daß es ihm mit der Aufkündigung seiner trüben Beziehungen zu ihr ernst war.
Der Chef ging nicht ins Krankenhaus und auch nicht nach Nauheim. Er ließ sich von Dr. Sommer zu Hause behandeln und war fest entschlossen, wenigstens den Unterricht zu übernehmen, sobald die Schrammen im Gesicht abgeheilt waren. Verfrühte Versuche, das Bett zu verlassen, hatte er aufgegeben, denn die gebrochene Kniescheibe verursachte ihm höllische Schmerzen, und um ihn zur Ruhe zu zwingen, hatte der Doktor das Gelenk in Gips gelegt.
Frau Bauersfeld ließ sich im Büro nur flüchtig sehen, meist erschien sie abends, um Rothe und Herold die Tagebücher abzunehmen, aus denen sie die erteilten Fahrstunden in ihre Kartei übertrug. Wenn Heinz Herold ihre Eitelkeit verletzt hatte, so ließ sie sich nichts davon anmerken.
Am Freitagvormittag nahm er sich eine Viertelstunde Zeit, um sich auf den dünn besetzten Zuschauerbänken des Verhandlungszimmers XI im Justizpalast über den Stand der Dinge im Fall Zauner zu informieren. Frau Zauner saß vor ihm, und er drückte, als er ihr zunickte, beide Daumen, was sie mit einem dankbaren Blick aufnahm. Aber sein Daumendrücken half nichts. Die Verhandlung fand vor dem Einzelrichter statt, einem älteren Herrn, der sein Metier souverän beherrschte. Gegen Oskar Zauners Beteuerungen, daß sein Tempo höchstens vierzig Stundenkilometer betragen habe, wollten ein gutes Dutzend Zeugen beschwören, daß er mit der doppelten Geschwindigkeit gefahren sei und viel zu spät abgebremst habe. Der Richter verzichtete darauf, die Zeugen unter Eid zu nehmen. Und zum Schluß ging es auch gar nicht mehr um die Frage der Geschwindigkeit des Wagens, nachdem ein Beamter der Verkehrsstreife ausgesagt hatte, daß die Bremsspuren den sicheren Schluß zuließen, Herr Zauner sei mit seiner Angabe durchaus glaubwürdig. Entscheidend sei aber, ob er den Wagen rechtzeitig zum Halten gebracht habe, und das wiederum sei bei der durch Alkoholgenuß verminderten Reaktionsfähigkeit des Beklagten mit Sicherheit zu verneinen.
Der Zeuge Knell, als Nebenkläger durch seinen Anwalt vertreten, ließ erklären, daß er durch das Hupensignal und das plötzliche Ausschwenken des Wagens nach links unsicher geworden sei und nicht mehr gewußt habe, nach welcher Seite er ausweichen sollte. So sei es zum Zusammenstoß gekommen, bei dem er mit dem Schädel auf die Stoßstange des Wagens gefallen sei.
Vom Richter ins Verhör genommen, gab Oskar Zauner zu, vielleicht ein wenig animiert, jedoch nicht fahruntüchtig gewesen zu sein. Natürlich hakte der Richter darauf sofort ein. Animiert, das bedeute doch, daß er enthemmt, hochgestimmt und unternehmungslustig gewesen sei, und gerade
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