Achtung Kurven
eine lange Kolonne. Auf der Kreuzung schien es eine Karambolage gegeben zu haben. Die Polizei war dabei, Spuren zu vermessen und ein gerammtes Fahrzeug zur Seite zu schieben. Der Verkehr, der sonst durch eine Ampel geregelt wurde, mußte von einem Polizeibeamten entwirrt werden. Fräulein Schütz stoppte, fuhr an, stoppte wieder, sie machte ihre Sache ausgezeichnet, er spürte an seiner Kupplung, daß er sie kaum zu korrigieren brauchte.
»Sehr ordentlich, Fräulein Schütz, machen Sie nur so weiter.«
Der Polizist, der den Verkehr wieder in Fluß zu bringen versuchte, ein baumlanger Mensch, hob die Hand in dem Moment, in dem Marianne Schütz an ihm vorbeifahren wollte. Sie hielt dicht vor ihm, und plötzlich starrte er in den Wagen, als traue er seinen Augen nicht. Sein Blick glitt vom Gesicht der Fahrschülerin zum blau-roten Fahrschulschild auf der vorderen Stoßstange des VW, und von dort wieder über die Gesichter von Schülerin und Fahrlehrer...
»Was hat der Kerl bloß?« murmelte Heinz Herold nervös. War etwas am Wagen nicht in Ordnung? Fuhr er mit Licht? Er tastete über die Schaltknöpfe, aber sie waren alle eingedrückt.
Auf der Nase von Fräulein Schütz glänzten winzige Schweißperlen. Ihre Wangen überflammte eine purpurne Röte.
»Ich kenne ihn«, sagte sie und befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen, »er heißt Wingert und kommt aus Kirst. Wir sind miteinander in die Schule gegangen... «
War eine Schulfreundschaft ein Grund, um so verlegen zu werden? Da schien etwas anderes dahinterzustecken. Aber was gingen ihn die Geheimnisse von Fräulein Schütz an?
Der lange Polizist grinste übers ganze Gesicht und beugte sich zum offenen Fenster des Wagens herab: »Hallo, Marianne, nimmst du etwa Fahrstunden?«
»Nein, Max, ich gebe Fahrunterricht! Aber behalt es für dich, damit es die Polizei nicht erfährt.«
»Den Witz verstehe ich nicht...«
»Ich erkläre ihn dir bei Gelegenheit, du hast schon immer eine etwas lange Leitung gehabt...«
»Sieht man dich nächsten Samstag beim Schützenfest?«
»Sicher — aber nun mach schon endlich Winke-Winke !«
Er trat einen Schritt zurück, grinste noch einmal in den Wagen hinein und gab der langen Kolonne, die sich hinter dem VW staute, den Weg frei.
»Was wollte er eigentlich von Ihnen?« fragte Heinz Herold kopfschüttelnd, »ich bin nicht schlau daraus geworden...«
»Zu dumm, daß ausgerechnet Max Wingert hier stehen mußte!« sagte sie und biß sich auf die Lippen, »sein Onkel hat eine Fahrschule in Kirst. Jetzt geht es natürlich gleich herum, daß ich in der Stadt fahren lerne. Der tankt bestimmt nicht mehr bei uns...!«
Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Es war ein Erleichterungsseufzer, daß ihr die Ausrede so rasch eingefallen und die Gefahr der Entdeckung noch einmal gnädig vorübergegangen war. Lange konnte sie das Spiel ohnehin nicht mehr fortsetzen. Und hoffentlich nahm er es mit Humor, wenn sie ihm den Schwindel eingestand. Sie spürte deutlich, daß er die Ausrede nicht ganz geschluckt hatte und mit den Gedanken noch immer bei dem kurzen Zwiegespräch weilte, in dem er so wenig Sinn entdecken konnte.
»Sind Sie ein guter Schütze, Herr Herold?« fragte sie, um ihn abzulenken.
»Für die Schießbuden langen die Künste. Weshalb fragen Sie?«
»Weil es beim Waldfest ein Armbrustpreisschießen gibt. Wenn Sie Glück haben, können Sie ein Schwein gewinnen.«
»Um Himmels willen, was finge ich mit dem Schwein an?!«
»Mein Vater hat vor fünf oder sechs Jahren ein Dreizentnerschwein gewonnen. Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke. Einen ganzen Winter lang kam nichts anderes als Dosenwurst und Rauchfleisch auf den Tisch...«
Der flüchtige Verdacht, der ihm bei der erstaunten Frage des Polizisten gekommen war, verdichtete sich fast zur Gewißheit. Denn bis auf die Weisungen, wohin sie fahren solle, hatte er ihr in den letzten fünf Minuten die Bedienung des Wagens völlig selbständig überlassen, hatte ihre Fahrweise während der Unterhaltung genau beobachtet, und war jetzt bereit, den berühmten Besenstiel zu verspeisen, wenn dieses Mädchen eine Anfängerin in der dritten Fahrstunde war. Nein, mit diesem Fräulein Schütz stimmte etwas nicht.
»Sie haben Ihre Sache fabelhaft gemacht, Fräulein Schütz«, sagte er, als sie den Wagen vor der Fahrschule Bauersfeld in eine Parklücke einstellte. »Sie sind das erste Fahrgenie, dem ich in meiner ganzen Praxis begegnet bin. Respekt!« Er blätterte dabei in
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