Achtung Kurven
dieser Zustand sei für einen Kraftfahrer höchst gefährlich, da er bei verminderter Selbstkontrolle zu einer flotteren Fahrweise verführe. Und was Herrn Zauners Magenschmerzen und die damit im Zusammenhang stehende Einnahme der Kräutertropfen angehe, so könne der Beklagte doch nicht so naiv sein, anzunehmen, daß das Gericht ihm abnehmen werde, er habe von der alkoholischen Beschaffenheit dieser Tröpfchen — von denen er immerhin acht Zentiliter geschluckt habe — nichts gewußt.
Der Justizrat hatte den Fall angeblich wegen Überlastung nicht übernommen. Oskar Zauner wurde von Rechtsanwalt Dr. Schlüter vertreten, und sein Plädoyer wirkte lahm. Er sprach zwanzig Minuten, zehn Minuten zuviel, denn der Richter begann sichtlich gelangweilt in den Akten zu blättern. Oskar Zauner verzichtete auf das Schlußwort . Das milde Urteil, das der Richter schließlich aussprach, ließ deutlich erkennen, daß er genau wußte, was nach diesem Urteil noch alles auf Oskar Zauner zukommen würde. Es lautete auf eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten, die zur Bewährung drei Jahre ausgesetzt wurde, auf Entzug des Führerscheins für ein Jahr, auf eine Geldbuße in Höhe von 600 Mark und auf die Übernahme der Verfahrenskosten.
Da im Urteilstenor ausdrücklich »verminderte Fahrtüchtigkeit infolge Alkoholgenuß « zur Unfallursache gemacht wurde, war es klar, daß Oskar Zauners Versicherung an den Geschädigten keine Zahlungen leisten würde. Das bedeutete also, daß Oskar Zauner für den Krankenhausaufenthalt von Herrn Knell ebenso wie für dessen Verdienstausfall und für den Lebensunterhalt seiner Familie in vollem Umfang aufzukommen hatte, solange Knell arbeitsunfähig blieb. Nach dem Urteil der ihn behandelnden Ärzte und einer von der Berufsgenossenschaft hinzugezogenen Kapazität war »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« mit einem Dauerschaden zu rechnen.
Als Herold zur Fahrschule zurückkehrte, kam ihm Rothe bereits entgegen.
»Was ist los?« fragte Herold, als er Rothes Gesichtsausdruck sah.
»Ich fürchte, daß es um unseren Dicken nicht gut steht. Er hat einen Herzanfall gehabt und ist soeben ins Krankenhaus transportiert worden. Einer von uns beiden soll die Chefin ins Krankenhaus fahren. Wann geben Sie Ihre nächste Stunde?«
»Um eins... «
Rothe warf einen Blick auf seine Armbanduhr, es war noch die alte Fliegeruhr aus Stahl, die er wie einen Talisman hütete.
»Dann fahre ich unsere Lollo ins Städtische, bei mir geht der Zirkus erst um zwei los. Der Alte war ein Hund«, fuhr Rothe fort, »ein ausgekochter und mit allen Wassern gewaschener Hund. Komisch, ich habe ihn trotzdem ganz gern gehabt. Bei aller Grobheit wußte man, woran man bei ihm war.«
»He!« rief Herold, »das klingt ja schon wie ein Nachruf. Soweit ist es doch noch nicht.«
Rothe hob zweifelnd die Schultern.
»Ich bitte Sie, Rothe, ein Kerl wie eine Eiche!«
»Hören Sie mir mit den Eichen auf, in die schlägt der Blitz am liebsten ein. Das habe ich mehr als einmal erlebt. Der Doktor hätte den Dicken nicht trockenlegen sollen.«
»So trocken, wie Sie denken, lag er nicht. Die Cognacpulle stand immer griffbereit.«
»Na, wir werden es ja erleben. Auf jeden Fall ist das, wenn er durchkommt, eine lange Geschichte. Unsere Lollo wird sich nach einem Mann umsehen müssen, der die Arbeit vom Chef übernimmt.« Er klopfte mit dem Stock gegen seine Prothese: »Ich klettere ihr jedenfalls nicht auf den Lkw.«
Frau Bauersfeld trat aus der Tür, als sie sich dem Hause näherten. Sie trug ein dunkelblaues Leinenkostüm, weiße Schuhe und eine weiße Handtasche.
»Direkt traurig sieht die Dame nicht aus«, murmelte Rothe leise und lüftete zehn Schritte vor der Chefin den Hut.
»Wie geht’s dem Chef?«
»Der Anfall kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ein Glück, daß Dr. Sommer gerade zur Visite kam, als es passierte. Er meinte, es sei ein Herzinfarkt. Man hört jetzt soviel davon. Was ist das eigentlich?«
»Herr Herold muß gleich ins Geschirr«, sagte Rothe, ohne auf ihre Frage zu antworten. »Ich habe noch eine Stunde Zeit.«
»Gut, Herr Rothe, dann fahren Sie mich ins Krankenhaus.« Sie wandte sich an Heinz Herold: »Richten Sie es bitte so ein, daß Sie an der Mercedes-Werkstatt vorbeikommen. Der Wagen ist mir für Dienstag versprochen worden. Machen Sie ein wenig Dampf dahinter, daß ich ihn früher bekomme. Ich brauche den Wagen jetzt unbedingt.«
»Ich werde tun, was ich kann.«
»Sagen Sie mir abends
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