Acqua Mortale
die beiden Rechner hochzufahren. Doch er konnte das Passwort nicht knacken. Die USB-Sticks aus den Schubladen waren jedoch ungeschützt. Und so hatte er den Inhalt auf seinen Laptop kopiert. Einen Inhalt, der bisher nichts von Interesse abgeworfen hatte.
Er öffnete einen Ordner namens »Privat« und fand eine Menge Word-Dokumente. Rechnungen, Briefe, sogar Aphorismen, die von Di Natale stammen mussten. Lunau wollte gerade den ersten Brief öffnen, als Silvias weißer Panda vorbeirollte und in der Einfahrt hielt.
Lunau fuhr seinen Laptop herunter, packte seine Tasche, stieg aus und trat auf Silvia zu. »Wo haben Sie die Kinder gelassen?«, fragte er.
Silvia schaute sich hektisch auf der Straße um. »Heute ist Mittwoch. Da haben sie bis halb fünf Unterricht.«
»Ich hätte noch ein paar Fragen.«
Silvia reagierte nicht, sondern trat auf die Haustür zu. Lunau ging einen halben Schritt hinter ihr her. Sie zückte den Schlüssel und zögerte dann. Sie schaute sich wieder in der Nachbarschaft um, dann blickte sie Lunau in die Augen.
»Seien Sie mir nicht böse, aber die Leute hier reden.« Lunau war verwirrt. »Worüber?«
»Sie waren gestern Abend schon bei mir im Haus.«
Er wollte protestieren, aber dann besann er sich eines Besseren. Er kannte Italien gut genug, um zu wissen, dass auch im Norden die Moral vor allem aus Etikette bestand. »Es dauert nur ein paar Minuten.«
Sie warf ihre Sachen an die Garderobe und ging ins Wohnzimmer. Sie setzte sich nicht und bot Lunau auch keinen Platz an.
»Ich will Ihnen helfen«, sagte Lunau. Sie nickte.
»Aber Sie müssen schon offen zu mir sein«, hakte er nach.
Sie runzelte die Brauen. »Sie konnten sich Vitos Sachen anschauen, in seinen intimsten Dingen stöbern …«
Er hob die Hand, um einzuhaken. Von intimen Dingen hatte er nichts gesehen.
Aber Silvia ließ sich nicht unterbrechen. »Was stellen Sie sich denn unter Offenheit vor?«
Er zögerte. »Alles, was irgendwie ein Mordmotiv abgeben könnte, ist von entscheidender Bedeutung.«
Sie zuckte mit den Achseln. Immer wieder diese knappe Geste, mit der Italiener Verspätungen im Nahverkehr genauso kommentieren wie die Endlichkeit des Daseins. Lunau verlor allmählich die Geduld. »Sie haben Vitos Lebensversicherung nicht erwähnt.«
Sie schaute verdutzt, dann verzog sie den Mund.
»Das ist doch schäbig.«
»Das wird die Polizei nicht interessieren«, sagte Lunau. »Ich versuche, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit man sich nicht mit der erstbesten Theorie zufriedengibt. Wie soll ich Ihnen helfen …«
»Niemand hat gesagt, dass Sie mir helfen sollen«, schrie Silvia. Sie funkelte ihn an, und er fragte sich, wie sich die Harmonie, die er am Vorabend gespürt hatte, so schnell hatte ins Gegenteil verkehren können.
»Wollen Sie deshalb keine zweite Obduktion, weil Sie die Ergebnisse fürchten?«, fragte er kalt.
»Ich möchte Sie bitten, jetzt zu gehen.«
»Wo ist die Police der Lebensversicherung?« Lunau bewegte sich nicht vom Fleck.
Silvia schaute ihn einen Moment voller Hass an, ihr Kinn zitterte. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und kniete sich an die Schrankwand. Sie zerrte ein paar Aktenordner heraus und blätterte in den Unterlagen, bis sie schließlich ein Blatt gefunden hatte. Sie knallte es auf den Couchtisch. »Hier.«
Büttenpapier mit aufwendigem Druck. In der Mitte standen, fett gedruckt, zwei Summen: 100 000 Euro und 450 000 Euro. Die erste war die Prämie, die bei Erreichen des 65. Lebensjahrs fällig wurde, die zweite im Falle eines vorzeitigen Ablebens. Das Blatt war jedoch voller Stanzlöcher, die im Abstand von drei Zentimetern die Ränder säumten, außerdem befand sich ein roter Stempel darauf: »Vertrag aufgelöst. Ansparsumme (41 275 Euro) ausgezahlt.« Mehrere Unterschriften, darunter die von Vito Di Natale, und ein Datum: 01. April 2008. Lunau dachte sofort an das Ablehnungsschreiben von Pirri, das ebenfalls aus dem April 2008 stammte.
»Was ist aus dem Geld geworden?«, fragte er.
Sie machte eine vage Geste. »Meinen Sie nicht, dass man als vierköpfige Familie vierzigtausend Euro ausgeben kann?«
»Im selben Monat hat Ihr Mann von Pirri eine Absage bekommen. Er hatte die Nutzung eines Grundstücks im Deichvorland beantragt. Wozu war das Grundstück?«
»Sicher nicht für Privatzwecke.« Silvia versuchte, geistesabwesend zu schauen, aber Lunau war nicht entgangen, dass sie gezuckt hatte.
»Sie meinen, Ihr Mann hat das Geld der ARNI gespendet? Wofür?«
Sie
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