Acqua Mortale
überzeugendere Lügen erzählt.«
Er versuchte, wieder sein Lächeln aufzusetzen, musste aber abbrechen, weil diesmal seine Gesichtsmuskeln stärker waren als sein Wille.
»Also, was bringt es dir, zu wissen, wo Lunau hingefahren und wann er abgeflogen ist?«
»Er ist ein Mann mit einem gewissen Riecher. Ich dachte, er deckt vielleicht etwas Interessantes auf.«
»Wenn er etwas aufdeckt, erfährst du es aus der Zeitung.«
Er verzog das Gesicht zu einer peinvollen Grimasse. »Ich möchte es wissen, bevor es in der Zeitung steht.«
»Du möchtest vor allem wissen, was nicht in der Zeitung steht.«
Sie stand auf. Er tat es ihr gleich und bewegte sich auf seinen Schreibtisch zu, um weiterzuarbeiten.
»Du hast mir keine Antwort gegeben«, zischte sie.
Er setzte sich auf seinen Bürosessel und legte die Arme auf die Lehnen.
»Wozu wolltest du wissen, was Lunau tut?«
»Du musst dich schon mit meiner Antwort zufriedengeben.«
»Tue ich nicht.«
Er seufzte. »Informationen sind Gold wert.«
»Erpresst du andere Leute?«
Amanda sah, dass seine Deckung wackelte.
»Du hast eine viel zu schlechte Meinung von mir. Meine Beziehungen basieren auf Freundschaft.«
»Wo warst du am Donnerstagabend?«, fragte sie kalt.
Nun war er überrascht. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Er winkte ab. »Ich hätte dir mehr Verstand zugetraut.«
»Wenn du nichts mit Di Natales Tod zu tun hast, dann vielleicht einer deiner vielen Freunde.«
»Bitte, ich habe noch dringende Arbeit zu erledigen. Du weißt, dass ich mich auf nichts Illegales einlasse.«
»Ich weiß, du pflegst nur deine Freundschaften.«
Amanda nahm die Klinke in die Hand. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie konnte mit ihrem Vater über das Studium reden oder über Politik, sie konnte mit ihm streiten oder einer Meinung sein. Das Endergebnis war immer dasselbe: Sie ärgerte sich über sich selbst.
»Ach, Amanda«, rief er ihr nach, »ich will dir deine Impertinenz nicht nachtragen. Aber da es dich so brennend interessiert: Ich war bei einer Versammlung meiner Partei. Dafür gibt es rund zweihundert Zeugen. Schön, wenn eine Partei wie die unsere Mitgliederzuwächse hat, nicht?«
55
Im Hotel rief Lunau wieder die Ordner von Di Natales USB-Stick auf. Er suchte nach Dateien, die im April 2008 angelegt worden waren. Nichts. Dann stieß er auf eine Rechnung vom 15. März 2008. Die Firma »Corelli Cantieri« verlangte 35 000 Euro für »Instandsetzungsmaßnahmen«, und zwar nicht von der Schifffahrtsbehörde, sondern von Di Natale persönlich. Di Natale hatte also sein Haus renovieren lassen und dafür die Lebensversicherung aufgelöst. Warum hatte Silvia das nicht gesagt? Undwarum war diese Rechnung digitalisiert – und in den Bürounterlagen versteckt? Lunau durchsuchte die Steuerunterlagen und die Kontoauszüge. Keine Spur von dieser Zahlung. Lunau rief Silvia Di Natale an. Sie nahm nicht ab. Auf dem Briefkopf der Rechnung war eine Adresse mit Telefonnummer angegeben, in Goro, einem Fischerdorf im Po-Delta.
Als Lunau aus dem Wagen stieg, meinte er, sich geirrt zu haben. Er schien am Ende der Welt angelangt zu sein. Eineinhalb Stunden lang hatte er zugesehen, wie die Landschaft immer flacher, leerer, unbestimmter wurde. Ab und zu ein Straßendorf, Felder. Ansonsten Sumpf, Wasserarme, Kanäle, Schilfgürtel. Um nach Goro zu gelangen, musste man mit der Fähre übersetzen. Am Horizont waren nur das Meer und ein graublauer Himmel zu erahnen. Dahinter musste Kroatien liegen. Warum sollte Di Natale ausgerechnet hier eine Baufirma für sein Häuschen in Ferrara auftun? Weil sie besonderss billig war? Oder besonders diskret?
Lunau stand vor einem Ufergelände, das mit einem Metallzaun gesichert war. Dahinter trabten zwei bellende Köter hin und her. Hinter der Firma begann die Sacca , eine Meerwasserlagune, über der Möwen kreisten. Neben den weitläufigen Hallen – eine aus Blech, eine aus Holz und eine ausgebrannte Ruine – standen auf Böcken und Trailern zahlreiche Boote und Fischkutter, auch elegante Segelyachten lagen dazwischen. Aber das Schild über dem Blechhangar ließ keinen Zweifel zu: »Corelli Cantieri«. Er war also nicht bei einer Baufirma, sondern einer Werft. 35 000 Euro für die Instandsetzung eines Bootes?! Nirgendwo in den Unterlagen hatte Lunau Spuren eines Bootes gefunden. Keine Liegeplatzgebühren, keine Steuern. Auch die 35 000 Euro waren nicht vom Konto abgebucht worden.
Lunau drückte auf die Klingel am Tor. Eine Glocke schrillte
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