Acqua Mortale
Lampe und schlug das Fenster ein. Ein helles Klirren, danach herrschte Stille. Der Alarm ging nicht los. Lunauzog die Scherben aus dem Fensterrahmen und warf sie ins Gras. Dann stieg er ein.
Er wusste nicht, wonach genau er suchte. Über den Fluss ließ sich viel verschieben. Drogen, unverzollte Zigaretten, sogar illegale Einwanderer. Womöglich hatte Di Natale sich sogar aus Gutmütigkeit auf diese Machenschaften eingelassen. Der vordere Raum war schnell gefilzt. Er diente als Kaffeeküche. Im Kühlschrank standen ein Liter Milch und ein paar Flaschen Bier, auf den Regalen Geschirr und Lebensmittel. Im zweiten Raum lagerten die Akten. Der Computer war mindestens zehn Jahre alt, das Plastikgehäuse des Monitors war vergilbt. Lunau fuhr ihn hoch. Er war nicht mit einem Passwort gesichert, aber das Booting dauerte so lange, dass Lunau in der Zwischenzeit in den Akten blätterte. Die üblichen Geschäftsunterlagen. Rechnungen, Briefverkehr, Mahnungen, behördliche Anordnungen. Lunau richtete sich auf und schaute sich um. Es musste hier irgendetwas geben, was ihm entging. So wie am Nachmittag, als er sich das Haus der Corelli-Brüder angeschaut hatte. Es sah aus wie ein bescheidenes altes Fischerhäuschen. Und der Lebensstil der Brüder war der von anspruchslosen Provinzlern. Sie fuhren jeden Morgen mit dem Fahrrad in ihren Betrieb und am Abend zurück. Dann saßen sie in der »Bar Sport«, redeten über Fußball und Fischzucht und spielten Briscola , das typische Kartenspiel der italienischen Rentner. Falls sie illegale Geschäfte betrieben, dann waren diese nicht sehr lukrativ. Für den März 2008 fand Lunau nur eine größere Rechnung. Eine rumänische Schreinerei hatte eine reetgedeckte Holzhütte für 17 500 Euro geliefert. Empfänger: »Cantieri Corelli«. Weder im Garten noch in der Werft war eine reetgedeckte Holzhütte zu sehen gewesen.
Lunau stellte die Unterlagen zurück, kletterte aus dem Fenster und schaltete die Taschenlampe aus. Er glaubte, einen der Hunde winseln zu hören. Einen Augenblick presste er sich an die Außenwandund wartete. In der Ferne waren Schritte zu hören, eine Stimme, dann war es still. Dunst kroch vom Meer auf das Festland. Das Mondlicht tauchte das Gelände in feines Silberlicht, der Wind hatte sich gelegt. Lunau ging geduckt zwischen den Booten hindurch und kam an dem verlassenen Hangar vorbei. Einer der Hunde hob den Kopf und drehte ihn in seine Richtung. Lunau bewegte sich nicht. Der Hund bellte einmal lustlos und streckte sich wieder aus. Lunaus Herz schlug schneller: Das zweite Tier war nicht zu sehen. In dem hohen Gras, das die Mauer säumte, waren Fußspuren. Viele Fußspuren. Der erste Eindruck hatte getrogen. Dieser Hangar war zwar verrammelt, aber nicht verlassen. Das Gras war umgetreten, die Trampelspur führte zu der kleinen Eisentür, die in das Haupttor geschnitten war. Lunau folgte den Spuren. Rüttelte an der Klinke. Abgeschlossen. Aber sie ließ sich leicht, ohne Quietschen, bewegen. Keine Frage, diese Tür wurde regelmäßig geöffnet. Lunau ging an das erste der verklebten Seitenfenster, wickelte seine Jacke um die Taschenlampe, schob den Arm durch das Gitter und schlug auch hier die Scheibe ein. Dann drückte er gegen den Karton, bis dieser aus dem Rahmen sprang und zu Boden segelte. In der Finsternis meinte Lunau, einen Schiffsrumpf auszumachen. Er schaltete die Lampe ein und ließ den Strahl über die Flanke gleiten.
Gewaltige Planken, die nach Holz und Teer dufteten. Ein wuchtiger und gleichzeitig eleganter Schiffsrumpf. Größer als alle anderen auf dem Gelände. Man erkannte die Maserung, die von alten Messingbullaugen unterbrochen wurde. Das Gefährt, das Lunau schon zwei Mal begegnet war, stand hier im Maßstab 1:1. In Di Natales Garten, in der Regentonne, hatte Lunau nur das Holzmodell gesehen, in Di Natales Arbeitszimmer die Konstruktionszeichnung. Er hatte gedacht, Di Natale habe sich in seiner Klause mit Kinderspielzeug beschäftigt. Aber es war kein Spielzeug. Es war ein gewaltiges Projekt, das offensichtlich geheimgehaltenwurde. Nirgendwo an Rumpf und Aufbau waren moderne Materialien zu sehen. Kein Fiberglas, kein Kunststoff, keine Stromleitungen. Dafür bestand die Kajüte an Deck aus einer reetgedeckten Hütte! Aber welche Geschäfte ließen sich mit dem historischen Nachbau eines Schaufelraddampfers betreiben?
Reflexartig drehte Lunau sich um, als er den Kies knirschen hörte. Er holte mit der Taschenlampe aus, um dem Hund zuvorzukommen. Hunde
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