Acqua Mortale
Hypothesen reden. Angenommen, irgendwer baut illegal Sand aus dem Flussbett ab, wie Sie meinen, glauben Sie, dass Sie das als Erster beobachtet hätten?«
»Nein.«
»Sehen Sie. Und wenn bisher nichts geschehen ist, dann wird auch weiterhin nichts geschehen.«
»Weil niemand ein Interesse daran hat, die Sache zu ändern?«
Zappaterra nickte.
»Bis auf Di Natale. Und dafür musste er sterben«, meinte Lunau.
Zappaterra schaute, als hätte man ihm ein kaltes Wattestäbchen an einen freiliegenden Zahnhals gepresst.
»Sie haben nicht die geringste Ahnung, welche Gesetze hier herrschen. Aber ausgerechnet Sie wollen sie ändern?«
»Es gibt ein italienisches Gesetz, das die Entnahme von Sand aus dem Flussbett des Po streng verbietet.«
»In Italien werden Gesetze nicht gemacht, damit man sie respektiert, sondern damit man sie brechen kann. Ihr Deutschen denkt zu kleinkariert.«
Lunau fing allmählich zu kochen an. Das Blut pochte unter seiner Schädeldecke, entlang des Risses, der quer durch die Kopfhaut lief.
»Ich bin nicht gekommen, um mir anzuhören, wie viel Esprit und Phantasie ihr Italiener in der Auslegung der Gesetze habt. Dass ihr nun mal die geborenen Anarchisten seid, dank eurer Kreativität aber auch die besten Modedesigner und die besten Spielmacher im Fußball. Sie haben einen Mord begangen, ein zweiter ist Ihnen misslungen. Ich weiß das und werde so lange nach Beweisen suchen, bis ich sie gefunden habe.«
Zappaterra winkte gelangweilt ab. »Das haben in Italien schon ganz andere versucht.«
Lunau stand auf und ging zur Tür.
»Ich hätte aber auch noch eine Frage«, schob Zappaterra nach.
Lunau drehte sich um und schaute in Zappaterras verpflastertes Gesicht.
»Haben Sie noch nicht genug?«
»Nein.«
»Warum machen Sie das?«
»Ich will die Wahrheit erfahren – und bekannt machen. Das ist mein Job.«
Zappaterra nickte anerkennend. »Wahrheit. Klingt nicht schlecht. Und was haben Sie ganz persönlich davon?«
»Nichts.«
»Vorbildlich. Heroisch. Aber ich nehme Ihnen das nicht ab. Ich sag Ihnen, was Sie antreibt: Sie wollen gelobt werden. Sie brauchen jemanden, der Ihnen auf die Schulter klopft und Ihnen sagt, Sie sind besser als die anderen. Sie wollen auf die anderenherabsehen. Waren Sie als Kind immer der Klassenbeste? Mussten Sie das sein, damit Ihre Eltern Ihnen nicht gram waren? Ein kleiner langweiliger, unsympathischer Streber?«
Lunau schaute Zappaterra an und merkte, wie der Hass ihm den Blick trübte. Genau darauf hatte Zappaterra es angelegt.
»Sie wagen nicht, sich das zu nehmen im Leben, was Ihnen gefällt. Deshalb müssen Sie sich hinter Spielregeln verschanzen, hinter Gesetzen, hinter der Wahrheit, wie Sie das nennen. Das ganze Korsett, das Schwächlinge brauchen. Sie rennen in Afrika herum, bemitleiden Säuglinge mit Malaria und Kleinkinder, die man mit Macheten aufeinander hetzt. Und wenn Sie wieder zu Hause sitzen und sich gut fühlen, sterben genauso viele Negerlein an Malaria und an ihren eigenen Macheten.«
Er klatschte ganz langsam und betont, so dass es wie Häme klang. »Sie wollen sich für das Gute in der Welt opfern, oder irgend so einen romantischen Scheiß. Aber ich sage Ihnen was: Die Welt will Ihr Opfer nicht. Die Welt will Sie nicht. Genau das ist Ihr Problem. Die Welt mag keine Einserschüler, Klassensprecher und Säulenheilige. Ihre Mama hat Sie nie geliebt, und wir werden Sie auch nicht lieben.«
Er stand auf, sichtlich erfreut über seinen Redefluss. Er gab Lunau die Hand und sagte: »Wie heißt es so schön am Ende eines erfolglosen Bewerbungsgespräches: Wir wünschen Ihnen noch alles Gute auf Ihrem weiteren Lebensweg.«
Lunau ging, und während Zappaterra an seinen Schreibtisch zurückkehrte, dachte er: Na bitte. So kann man sich auch die schlechte Laune vertreiben.
Lunau machte auf dem Absatz kehrt und betrat, ohne anzuklopfen, Zappaterras Büro. »Sie wollten Pirri dazu zwingen, Di Natale für Sie zu erledigen. Wahrscheinlich hätten Sie ihm im Gegenzug die Spielschulden beglichen. Sie dachten, es ist besonders schlau, sich durch mich ein Alibi zu beschaffen. Aber IhrPlan hat nicht funktioniert. Pirri hatte die Nerven nicht, und deshalb mussten Sie es selbst tun. Sie haben Vito Di Natale eigenhändig ertränkt, haben die Leiche in der Gefriertruhe Ihres Hausbootes heruntergekühlt und dann im Canale Boicelli ins Wasser geworfen. Alle dachten, entweder ist der Mörder meschugge oder ortsunkundig, wenn er die Leiche kurz vor der Schleuse
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