Acqua Mortale
Station in Ferrara gemacht hatten, weil der Name SPAL noch immer den Lebenslauf eines Fußballprofis aufwertete. Zu viele hatten sich hier nur für gutes Geld ein schlaues Leben machen wollen, Söldner, für die die Fans die Zeche zahlten.
Recanati nahm den Anruf entgegen.
»Warum dauert das denn so lange?« Ciolli, sein Kollege von der Nachtschicht.
»Ich habe noch geschlafen.«
»Wir haben einen Notfall, du musst sofort kommen.«
»Was für ein Notfall?«
»Eine Störung im System, die ganze Schleusenanlage ist eingefroren, weil eines der Tore klemmt.«
»Sicher wieder ein Ast oder ein Wels.«
»Ein Wels.«
»Na bitte. Den kannst du doch alleine rausziehen.«
»Ich darf den Kontrollraum nicht verlassen.«
»Es kommt doch sowieso nur alle paar Tage ein Schiff durch die Schleuse. Gib zu, dass für dieses Wochenende keine Passage angemeldet ist.«
»Du weißt, das spielt keine Rolle.«
»Und du weißt, was für ein Spiel heute ansteht.«
»Es sind noch sieben Stunden bis zum Anpfiff.«
Diese beschissene Schleuse, dachte Recanati. 14 Millionen Euro für ein Wunderwerk der Technik, das nie genutzt wurde. Wann würde man endlich einsehen, dass man aus dem Po, dieser Mischung aus launischem Gebirgsbach und verödendem Wüstenstrom, keine funktionierende Wasserstraße machen konnte? Und je mehr das Klima verrückt spielte, desto unmöglicher wurde es. Was hätte man mit 14 Millionen für Spieler kaufen können!
»Ich komme«, sagte Recanati, den man ohne die Schleuse bei der ARNI längst ausgemustert hätte.
Er ging in die Küche, um sich einen Espresso aufzusetzen, obwohl der Urologe ihm Kaffee verboten hatte. Das Display seines Handys meldete, dass eine SMS eingegangen war: »Wenn die SPAL nicht absteigt, dann nur, weil euch nicht einmal die vierte Liga will«, dahinter ein Smiley, eines dieser grinsenden Gesichter mit einem zugekniffenen Auge. Die SMS kam von seinem Neffen aus Verona. Noch einer, der Spaß von Ernst nicht unterscheiden konnte.
Recanati ließ einen letzten zärtlichen Blick über die Außenmauern des Stadions Paolo Mazza gleiten, an den hellblau-weißen Stahlträgern entlang, an den fleckigen Betonfugen, bis er zur Fankurve kam, in der sich heute noch einmal dreitausend Zuschauer versammeln würden, vielleicht zum allerletzten Mal, nach siebzehn Jahren in der Serie A, 23 in der Serie B. Nachdem die SPAL den italienischen Verbandspräsidenten und Nationalspieler gestellt hatte, nachdem sie Ausnahmetalente wie Luigi Del Neri und Fabio Capello ausgebildet hatte, die inzwischen Juventus Turin und die englische Nationalelf trainierten.
»Versammelt ihr euch jetzt schon morgens um acht?«, fragte Adelaides Stimme. Er drehte sich um, sah sie in ihrem unbeschreiblich abstoßenden Morgenmantel, den sie auf dem Wochenmarkt gekauft hatte.
»Ich muss zur Arbeit.«
»Hoffentlich steigt ihr ab, ach was, hoffentlich geht der Verein bankrott, verschwindet von der Bildfläche, dann können wir womöglich noch einmal so etwas wie eine Ehe führen. Du hast mich doch nur geheiratet, weil meinem Vater dieses Apartment direkt am Stadion gehörte.«
»Unsinn.«
»Schon auf der Hochzeitsreise hätte ich dusselige Kuh begreifenmüssen, was es geschlagen hat. Wer fährt schon von Ferrara aus nach Rimini?«
Er wusste, worauf sie anspielte. Er hatte die Hochzeitsreise damals gebucht, weil die SPAL in Rimini ein Relegationsspiel hatte. Dabei war sie mit Rimini gut bedient gewesen. Die SPAL hätte genausogut Lumezzane als Gegner erwischen können. In Lumezzane gab es nur ein paar Eisenwarenfabriken, in denen Bratpfannen und Campingbesteck hergestellt wurden, Rimini war immerhin ein Seebad.
Recanati ging in die Küche, trank reichlich Wasser nach, damit der Espresso sich nicht wieder mit einem Brennen aus seinem Unterleib verabschieden würde, dann nahm er seinen Mantel, seine Mütze und die Autoschlüssel.
Er hatte kaum geparkt und einen Blick vom Deich auf das innere Schleusenbecken geworfen, als er den Schlamassel erkannte. Weißlich schimmerte ein Kopf an der Wasseroberfläche, der Fischleib war dunkel. Da der Elektromotor es nicht geschafft hatte, den Rumpf mit dem Tor zu zerteilen, musste es eines dieser Biester sein, die hundert Kilo und mehr wogen. Er ging hinauf in den Kontrollraum, der wie die Querlatte eines hohlen Fußballtors über der Schleuse lag, und wechselte ein paar Worte mit seinem Kollegen Ciolli. Er zog die Wathose über, nahm zwei Enterhaken und holte den Schlüssel für das
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