Acqua Mortale
Marco und Di Natale gab, dann habe ich den Anschlag dir zu verdanken. Wir hatten eine klare Abmachung. Journalismus bedeutet nicht, dass man bei Papa und Mama im gemachten Nest sitzt und ein bisschen im Internet surft.«
Sie war einen Moment sprachlos. Dann sagte sie: »Was bilden Sie sich eigentlich ein? Ich wollte, dass Sie mir helfen, einen Mord aufzudecken. Stattdessen rennen Sie nur hinter Ihren Ressentiments her, weil Ihnen jemand auf dem Radweg in die Quere gekommen ist. Ich dachte, Sie wären einer, dem es nicht nur um kleinkarierte persönliche Interessen geht.«
»Ich sag’s ja: Das Internet verstellt einem den Blick auf die Realität.«
»Sie haben recht: Vergessen wir es.« Sie zog eine Grimasse, griff sich ihre Tasche und stand auf. Lunau folgte ihr zum Ausgang. Da ging ein Raunen durch den Saal, schlagartig wurde es still. Nur der Hiphop-Sound hackte weiter durch die Luft. Allestarrten auf die Bildschirme. Man sah, in knallbunten Farben und dem geschmacklosen Design amerikanischer Fernsehformate, einen ovalen Tisch, an dem gepokert wurde. Die Finger, die gerade die beiden Karten so weit auseinanderschoben, dass man einen Buben in Pique und eine Herz-Zehn erkennen konnte, gehörten, wie der weiße Schriftzug neben dem Spieler verriet, Giuseppe Pirri. Als er seinen Einsatz brachte, tobte das Publikum im Lokal, man fing an, den Lokalmatador anzufeuern.
»Beppe Pirri?«, fragte Lunau.
Amanda nickte. Die Kamera zoomte auf Pirris Blatt, dann auf das Gesicht des Spielers, das keine Regung zeigte. Die Gäste in der Bar johlten, und Lunau hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. »Wie kann man sich für ein solches Turnier qualifizieren?«, fragte er Amanda.
»Entweder über eine Punktzahl, die man beim Online-Poker erwirbt, oder indem man sich einkauft.«
»Und wie hat Pirri sich qualifiziert?«
Amanda zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich, kann man aber im Internet recherchieren.«
Lunau nahm seine Jacke und stand auf.
»Wo wollen Sie hin?«, fragte Amanda.
»Nach Venedig.«
»Lassen Sie sich Zeit. Wie ich sehe, hat Pirri noch 320 000 Euro, solange er nicht rausgeflogen ist, kommen Sie nicht ran an ihn. Die sind von Security-Leuten völlig abgeschirmt, dürfen das Hotel nicht verlassen, nicht einmal Handys benutzen oder fernsehen, damit sie nichts über die Strategien der anderen Spieler erfahren.«
Lunau stand auf. Er würde Amanda nach Hause bringen und endlich ungestört nachdenken.
23
Rodolfo Recanati schreckte hoch, geweckt vom Klingeln des Handys. Es war Samstag, der 1. Mai, 8 Uhr 11. Seine Frau Adelaide starrte ihn aus ihren wächsernen Augen an, ohne den Kopf zu bewegen. Das Handy lag auf dem Nachttisch, weil Recanati Bereitschaftsdienst hatte. Rodolfo griff das Telefon, stieg aus dem Bett und verließ das Zimmer, damit seine Frau weiterschlafen konnte. Ein Anruf um diese Zeit, das verhieß nichts Gutes. Ausgerechnet heute, da ein Schicksalsspiel anstand. Zu viele der Details, die über den Ausgang eines solchen Spieles entscheiden, erzeugten Misstöne. Schon die Tatsache, dass er Bereitschaftsdienst hatte. Auch der Nebel verhieß nichts Gutes, jetzt, Anfang Mai. Und dann hatte man das Spiel auf den Samstag vorverlegt, in Samstagsspielen hatten sie noch nie gut ausgesehen. Er sah, dass der Anrufer nichts mit der SPAL zu tun hatte, eine Dienstnummer der ARNI. Recanati war erleichtert.
Die Betonflanken des Stadions zeichneten sich in der grauen Suppe ab. Seit zweiunddreißig Jahren, seit er geheiratet und dieses Apartment bezogen hatte, galt Recanatis erster Blick am Morgen dem Stadion. Und jeden Morgen erfüllte ihn eine Mischung aus Stolz, Begeisterung, Liebe und Furcht, je nach Wochentag, je nachdem, welcher Spieltag bevorstand, je nachdem, wie der letzte Sonntag gelaufen war und auf welchem Tabellenplatz – und in welcher Liga – die SPAL sich gerade befand. »Società Polisportiva Ars et Labor.« Welcher andere Fußballverein hatte einen solch exklusiven Namen? Aber an diesem Morgen spürte er nur dieses flaue Gefühl im Magen. Nicht nur der Bereitschaftsdienst, ausgerechnet an diesem Wochenende, da die SPAL gegen Hellas Verona und gegen den Abstieg spielte, beunruhigte ihn. Auch die Angina, die den Präsidenten heute angeblich von einem Stadionbesuch abhielt, ein Interview mit pessimistischen Zwischentönenvon Carboni, dem Kapitän und Abwehrchef. Es werde sehr, sehr schwer werden. Die Ratten verließen das sinkende Schiff. Die vielen Verräter, die in den letzten Jahren
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