Acqua Mortale
sei davongefahren, ohne Licht, für Sie mit dem defekten Fahrrad uneinholbar. Als Sie mit Herrn Zappaterra sprachen, sagten Sie immer wieder, die Polizei solle den Punto sofort jagen. Warum sind Sie nicht auf die Idee gekommen, mit Zappaterras Wagen die Verfolgung aufzunehmen? Immerhin gab es auf der Deichstraße nur eine Richtung, in die der Wagen verschwunden sein konnte.«
Lunau schwieg. Er wusste keine Antwort.
»Hat das nicht damit zu tun, dass Sie Herrn Di Natale nicht einholen mussten, weil Sie ihn bereits gestellt hatten?«
»Wie meinen Sie das?«
»Herr Zappaterra gibt an, Sie hätten recht gefasst gewirkt. Hatten Sie sich womöglich schon gerächt?«
»Sie beschuldigen mich, Vito Di Natale ermordet zu haben? Das ist doch lächerlich.«
»Finde ich gar nicht.«
»Was für ein Motiv sollte ich gehabt haben?«
»Das haben Sie sehr anschaulich geschildert. Was für ein Motiv sollte Herr Di Natale gehabt haben, Sie zu überfahren?«
»Ich bin also doch kein einfacher Zeuge.«
»Bis jetzt schon.«
In Lunaus Schläfen pumpte das Blut.
»Wo hat man seine Leiche gefunden?«
»In der Schleuse von Pontelagoscuro.«
»Im Wasser?«
Balboni nickte.
»Das ist doch flussaufwärts. Wenn ich ihn bei der Sandgrube gestellt und umgebracht hätte, dann wäre seine Leiche Richtung Meer getrieben.«
»Sie können ihn auch länger verfolgt, weiter oben in den Fluss geworfen haben.«
»Das sind sechs Kilometer. Sechs Kilometer Verfolgungsjagd zwischen einem Fahrrad und einem PKW?«
»Vielleicht haben Sie ihn am Unfallort überwältigt und dann sein Auto benutzt.«
»Um fünf Minuten später wieder bei Zappaterra zu sitzen?«
Lunau wusste, die Anschuldigung war absurd, und Balboni glaubte selbst nicht daran. Welchen Zweck verfolgte er?
»Gibt es überhaupt Hinweise auf ein Fremdverschulden?«, fragte Lunau.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
Lunau deutete auf die Aufnahmegeräte, und Balboni schaltetesie ab, nachdem er gesagt hatte: »Die Befragung wird für einen Moment unterbrochen.«
»Lassen Sie uns wie vernünftige Menschen miteinander reden«, meinte Lunau. »Sie wissen, dass Ihre Anschuldigungen absurd sind. Es geht Ihnen um etwas anderes. Meine Anwesenheit während des Prozesses macht die Polizei nervös.«
Balbonis Blick wurde hart.
»Ich habe nichts Illegales getan, Sie können mich nicht einschüchtern. Ich kann Ihnen aber eine Zusammenarbeit anbieten. Ich gewähre Ihnen Einblick in meine Informationen, und umgekehrt«, sagte Lunau.
»Sie verkennen Ihre Rolle. Als Zeuge sind Sie gesetzlich verpflichtet, mir alle Informationen zu geben. Als erfahrener Journalist wissen Sie zudem, dass ich nicht gegen das Dienstgeheimnis verstoßen kann. Welche Informationen halten Sie zurück?«
Erfahrener Journalist. Balboni hatte also weitere Erkundigungen über Lunau eingezogen. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
»Vito Di Natale soll am Donnerstagabend mit Giuseppe Pirri zusammengewesen sein.«
Balboni seufzte, stand auf und ging im Raum auf und ab. »Bisher hat die Gerichtsmedizin keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung gefunden. Das Ganze sieht nach Selbstmord aus.«
»Und wann ist die Leiche gefunden worden?«
»Heute morgen.«
»Und das Auto?«
»Verschwunden.«
Das alles ging viel zu glatt. Wieso ließ Balboni sich auf einmal auf den Handel ein? Und warum ermittelte er so übereifrig bei einem Fall, der nach Selbstmord aussah? Wollte er der ausländischen Presse zeigen, wie sorgfältig man in Ferrara gewaltsame Todesfälle untersuchte? Selbst am Wochenende. Lunau betrachteteBalboni. Er machte einen vertrauenerweckenden Eindruck, auch wenn Lunau nicht wusste, warum.
»Lassen Sie mich einen Blick in den Obduktionsbericht werfen, sobald er vorliegt?«
Balboni blieb abrupt stehen und schaute Lunau an. Sein Gesicht verzog sich zu einem ungläubigen Grinsen. »Frechheit siegt, meinen Sie?«
»Ich meine, dass Italiener die Gabe haben, Dinge effizient zu regeln, effizienter, als es die Bürokratie des Landes vorsieht.«
»Ich bin nicht so, wie Sie sich Italiener vorstellen.« Balboni schaltete die Geräte wieder an, sagte Uhrzeit, Gegenstand der Befragung, Namen der Anwesenden. »Ich muss Sie bitten, die Stadt bis auf weiteres nicht zu verlassen. Die Befragung ist hiermit beendet.«
»Todeszeitpunkt?«, fragte Lunau.
Balboni ließ sich auf seinen Stuhl fallen und schüttelte resigniert den Kopf. »Gegen 21 Uhr.«
»Tatort?«
Balboni zuckte mit den Achseln.
Als Lunau auf der Straße
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